Ulrich Siegele vorstehenden Sontag in der Kirchen zu St. Thomä die Probe ablegen, (4.) nach- gehends aber wieder nach Hamburg kehren, und daselbst seinen Abschied nehmen wird.“ Diese Meldung wäre nicht weiter erstaunlich, wenn sie nur die Mitteilungen 1 und 3 über das Eintreffen Telemanns in Leipzig und über den Termin und den Ort seiner Probe enthielte. Erstaunlich aber sind, für eine Zeitungsmeldung, die Mitteilungen 2 und 4. Schon vor der Probe wird mit geteilt, daß Telemann die Stelle erhalten wird. Das ist ein glatter Vorgriff nicht so sehr auf die Probe als vor allem auf die Wahl. Und schon vor der Probe wird mitgeteilt, was Telemann hernach tun wird, nämlich nach Hamburg zurückkehren und dort seinen Abschied nehmen. Das ist ebenfalls ein Vorgriff auf die Wahl, setzt ihren positiven Ausgang voraus und impliziert, daß Tele mann, ehe er seinen Abschied von Hamburg erhalten hat, die Wahl nicht an nehmen wird, daß also mit einer endgültigen Entscheidung über die Besetzung der Stelle in nächster Zeit nicht zu rechnen ist. Folgerichtig beschränkt sich die nächste Meldung auf die Mitteilung, daß die Probe stattgefunden hat und ein Erfolg war: „Verwichenen Sontag als am 9. dieses hat der berühmte Virtuose Msr. Teleman in der Kirchen zu St. Thomä allhier unter ansehnlicher Frequentz von Hohen und Niedern seine Probe-Music als Cantor mit besonderer Appro bation abgeleget.“ Diese Meldung stammt vom 14. August, also vom Tag nach der Eröffnung der Wahl an Telemann, vom Tag, an dem er abreiste oder sich zur Abreise auf den nächsten Tag rüstete. In dieser Sache würde vorerst nichts weiter geschehen. Der positive Ausgang der Wahl und die Abreise Telemanns ohne endgültige Annahme des Amts waren vorweg angekündigt; nur der posi tive Ausgang der Probe blieb nachzutragen. Mehr war im Moment nicht mit zuteilen. In den Mitteilungen 2 und 4 der ersten Meldung sehe ich ein Stück Informa tionspolitik der Kapellmeisterpartei. Der Korrespondent selbst beruft sich für die Mitteilung 2 auf eine Quelle: „wie man sagt.“ Heute würde er schreiben: „wie aus gewöhnlich gut unterrichteter Quelle verlautet.“ Diese Quelle hat die Mitteilung 2 und ebenso die Mitteilung 4 in bestimmter Absicht in Umlauf ge bracht. Das erste Ziel ist die Kantorenpartei. Die Mitteilung 2 stellt die Wahl Telemanns als eine abgemachte Sache und als unproblematisch hin. Die Wahl war aber keine abgemachte Sache, zumindest nicht unproblematisch. Denn die Kantorenpartei erstrebte die verbindliche Annahme ihres Kompromißvor schlags bezüglich der wissenschaftlichen Unterrichtsverpflichtungen des Kantors: Die Kapellmeisterpartei und ihr Kandidat sollten sich auf die Ausnahme einer privatrechtlich vereinbarten Vertretung verpflichten. Damit wäre eine neue De finition des Amts verhindert, seine hergebrachte Definition gesichert gewesen. Die Kantorenpartei hatte zwei Gelegenheiten, ihren Vorstellungen Geltung zu verschaffen: anläßlich der Wahl und anläßlich der Eröffnung der Wahl an den Kandidaten, der üblicherweise die Unterzeichnung des Reverses vorausging. Genau auf diese beiden Gelegenheiten zielen die beiden Mitteilungen. Denn wenn die Kantorenpartei, wenn der Regierende Bürgermeister Steger und ihr Sprecher, Bürgermeister Platz, den Plan gehabt haben sollten, die verbindliche Annahme ihres Kompromißvorschlags durch die Kapellmeisterpartei und den Kandidaten zur Voraussetzung ihrer Zustimmung zur Wahl zu machen - jetzt mußten sie von diesem Plan Abstand nehmen. Die Öffentlichkeit interessierte