Zwei „Griselda“-Opern. Von Hermann Junker, Karlsruhe. Die Tatsache, daß fast um die gleiche Zeit von zwei italienischen Opernkomponisten, die in entwicklungsgcschichtlicher Hinsicht gewisser maßen nebeneinander herlaufen, dasselbe Libretto zu einem musikali schen Drama verwendet wurde, lädt zu einem Vergleich der beiden Kunstwerke miteinander ein. Der Text zur Oper „Griselda“ von Apostolo Zeno wurde von Scarlatti im Jahre 1721 für Rom, von Torri 1723 für München komponiert. Freilich kann eine solche Gegenüberstellung Bedenken erregen insofern, als man gleich von vornherein weiß, wer von beiden Meistern den Sieg davontragen werde. Jedoch rechtfertigt sich das Unternehmen dadurch, daß hier der Unterschied zu zeigen versucht werden soll zwischen dem tonangebenden, gegen alle Ver suchungen seiner Zeit gefeiten Genius und dem teils in seinen, teils in den Fußstapfen anderer wandelnden schwächeren Komponisten. Dazu kommt noch, daß Torri gerade mit seiner „Griselda“ ein guter Repräsen tant der damaligen Opernkomposition mit all ihren Schwächen ist, während Scarlatti rein und unverdorben dasteht, immer er selbst und abhold jeder Art von Zugeständnissen an den Geschmack seiner Zeit, der bekanntlich weniger Wert auf gediegene Kompositionsweise legt, als vielmehr den Sänger in seinem vollsten Glanz erstrahlen lassen will, weshalb die musikalischen Gedanken durch die Sucht nach äußeren Effekten angekränkelt werden und sich Stücke wie die große Da capo- Arie herausbilden, wobei, abgesehen von den Verschnörkelungen der melo dischen Linie, die Koloraturen nahezu den gleichen Raum erfordern als die eigentlichen Ideen selbst. Bemerken möchte ich übrigens, daß es sich bei dieser Skizze nur eben um die Oper „Griselda“ handelt und nicht etwa das Gesamtschaffen beider Meister verglichen werden soll. Indessen