Auto und junges Mädchen Von Karl Vollmoeller E s fängt gleich mit einem Widerspruch an: Chauffieren ruiniert die Schuhe, und um nichts ist das junge Mädchen von heute so besorgt, wie um ihr be< zauberndes Schuhwerk. — Welch ein Konflikt! Aber zum Glück nimmt es das junge Mädchen mit der Logik nicht allzu genau, und so bestehen die beiden Tat» sachen in ihrem Leben ruhig nebeneinander: das unentbehrliche Auto und die immerfort metallisch angeriebenen Schuhe. Und es ist gut so. Wo bliebe das junge Mädchen von heute ohne ihr lichtblaues, taubengraues oder weißes Kabriolett? Wobei nur noch zu diskutieren wäre, ob ihr der Wagen besser steht oder sie dem Wagen. Ob sie sich dem neuen Verkehrs» mittel angepaßt hat oder das Auto ihr. Vielleicht untersucht einmal jemand, wie es kommt, daß alles, was Männer mühsam herstellen, bald in irgendeiner Form zur Folie für die Frau wird. Und daß die Frau sich ihrerseits jeder neuen Folie natürlich und bedingungslos anpaßt. Unsere moderne Industrie produziert am laufenden Band das Auto. Und das Auto produziert unsere modernen Mädchen. Beinahe auch am laufenden Band. * In Amerika fing es an, vor zehn Jahren. Das Auto verschaffte dem jungen Mädchen eine neue Exterritorialität der Erotik. So wie früher der Theaterbesuch, dann das Kino. Fährt sie mit einem jungen Freund in ihrem Auto weg, so scheint sie sich in einer besonderen Art aus der häuslichen Obhut zu lösen, und kann ruhig nach zwei Tagen wieder erscheinen, ohne daß ein elterliches Gewitter niederginge. Sie war eben in ihrem Auto fort! Wehe, wenn sie etwa mit der Eisenbahn weg» gefahren wäre ! Es scheint, das Auto hat unter vielen anderen Rollen auch die des „Chaperon“ aus der Großmutterzeit übernommen. m Bei den amerikanischen Studentenbällen stehen vor den Klubhäusern oder Hotels zweitausend Autos junger Mädchen. Alle mehr oder weniger bevölkert. Ab und zu glüht eine Zigarette durch das Fenster, oder es flammt kurz die elek» trische Lampe auf, wenn ein Pärchen den Wagen betritt oder verläßt. In derTanzpause braucht man nicht mehr stillePlätzchen auf derTreppe zu suchen. Die junge Dame zieht sich lieber mit ihrem Partner in das Privatappartement ihres kleinen Wagens zurück. Genau betrachtet: Sündenfall auf offener Straße! Aber es geschieht ja im Auto! Die strenge Moral von Boston bis San Franzisco hat nichts dagegen einzuwenden. Es ist allgemeine Mode so. Und daher schicklich. Das Auto deckt alles. Soll man dem jungen Mädchen von heute den Vorwurf der Polyandrie machen? Die ungewohnte Freiheit ist ihr so neu und daher so verlockend. So neu und ver» lockend wie das Auto, das sie ihr gebracht hat. Bald wird auch das Auto zur Selbst» Verständlichkeit werden und an erotischem Reiz verlieren. Die Mode schwenkt dann ein, und Gefühl und Monogamie wird wieder Trumpf. Schon fängt es in den Ver» einigten Staaten an schick zu werden, die neue Freiheit bewußt einzuschränken. 244