Das glückliche Mädchen von morgen . Von Dr. Eugenie Schwarzwald D as junge Mädchen von heute gefällt mir. Sie sieht so reizend aus, wie sie kann. Ihr einfaches, gut gemachtes Kleid wirbelt keinen Staub auf. Ihr kurz geschnittenes Haar gibt ihr Seelenruhe, da der Kampf mit den Haarnadeln entfällt. Man kann sie freundschaftlich anfassen, ohne sich an einer Stecknadel zu stechen. Ihr Körper ist gelenkig, der Kopf sitzt frei auf dem freien Halse, ihr Gang ist beschwingt, ihr Blick geradeaus und ihr Händedruck gehaltvoll. In dieser guten Form geht sie in die Schule, auf die Universität, in die Kli nik, ins Laboratorium, in die Fabrik, ins Amt, ins Geschäft, in die Theater probe. Überall leistet sie gute Arbeit. Überall will sie angenehm wirken; nicht nur die Schauspielerin und die Ver käuferin, sondern sogar die Ärztin und die Lehrerin. Diese Mädchen sind bewunderungs würdig. Statt den Erwachsenen Vor würfe zu machen, daß sie ihnen eine armselige, entgötterte, verfeindete Welt hinterlassen, haben sie sich auf ihre, mit jedem Jahr hübscher werdenden Beine gestellt und arbeiten. Viele ver dienen ihren Lebensunterhalt; alle sind fest entschlossen, nicht zu altern und bis ans Lebensende unterhaltend zu bleiben. Männer sein oder vorstellen wollen sie nicht. Männer zu bekämpfen, fällt ihnen nicht ein, ebensowenig ihnen zu imponieren oder sie zu umschmeicheln. Bei der gemeinsamen Arbeit gerecht und kameradschaftlich behandelt werden ist alles, was sie wollen. Kommt dann einer, der sie liebt, so wird er bald merken, wie er dran ist, keinesfalls werden sie es dazu kommen lassen, ihm einen „Korb“ zu geben. Wenn sie geliebt werden und wiederlieben, so tun sie es, so weit es auf sie ankommt, nicht weniger dauerhaft als zur Zeit der Romantiker. Da sie wissen, daß zwanzig Taler und zwanzig Jahre nicht ewig dauern, haben sie keine Lust, mit einer Arbeit, einem Vergnügen, einem Entschluß auf übermorgen zu warten. Sie sind bemüht, aus ihrer Jugend so viel reine Freude wie möglich herauszuschlagen, als ahnten sie, daß nur, wer eine wirkliche Jugend hatte, mit Anstand zu altern versteht. Richard Ziegler — Märchen liest du? Das schickt sich nicht für ein Mädchen deines Alters. 235