DAS HAB ICH ERLEBT . . als Wate Von Irene von Bischoffshausen In Marseille verschwanden vor kurzem zwei bildhübsche junge Mädchen aus besseren Kreisen. Nach ein paar Tagen tauchten sie plötzlich vjieder auf und berichteten große Dinge: sie wären von Mädchenhändlern verschleppt worden, doch sie wären schlau genug gewesen, der Bande zu entkommen. Heute steht man solchen Darstellungen skeptisch gegenüber und hält diese behaupteten Gefahren für phantastische Erfindungen junger Mädchen, die ihre galanten Abenteuer aus der Welt schaffen wollen. — Vielleicht! — Hier aber schildere ich Tatsachen, ein eigenes, schauriges Erlebnis, aus dem ich nur dank meiner Geistes gegenwart heil davonkam. Ins Land „1001 Nacht“ as stürmische Schwarze Meer trug unser Schiff unter fran zösischer Flagge aus dem zerstörten Rußland gegen Westen. In Konstantinopel sollte ich meinen Onkel treffen, um mit ihm nach Wien weiterzureisen. Meine Neugierde wuchs ins Unermeß liche, je mehr wir uns Stambul näherten — dem Morgenland, voll von Paschas, ver schleierten Türkinnen und grotesken Eu nuchen ... Wir erreichten, während ich vom Zauber des Orients träumte, die Landungsbrücke des Goldenen Horns. Paß- und Sanitäts kontrolle hielten uns lange an Bord zurück. Unzählige Boote mit türkischen Händlern, die uns köstliches Obst und allerlei Tand anboten, schaukelten um den Dampfer. Wie in einem Taumel tauchte ich unter, ganz allein, im malerischen Völkergemisch der großen Stadt. — Herrliches Byzanz, immer glänzend in ewiger, legendärer Pracht! Ich bestaunte das glitzernde Ga- lata, wanderte durch das elegante euro päische Pera, um mich in den winkligen Gassen Stambuls zu verlieren, die fast nur den lärmenden, stoßenden Trägerverkehr dulden. Um mich schillerte der ganze farbenreiche Orient: geräuschvolle, bunte Basare, zahllose weißschimmernde Mo scheen mit den Turmnadeln ihrer Mina retts, das verblüffende Menschen- und babylonische Sprachengewirr.,. 525