Geschichte zweier junger -Menschen von Otto Bernhar d Wen d l er H inner Heß ist heute Scliauspieler in Hollywood. Kein Star. Kein Stern in der Lichtreklame. Aber ein guter Schauspieler der dritten Garnitur. Der Freund der Helden. Der Mann, dem die kleinen Mädchen ihr Leid kla gen, ehe sie Stars werden. Er spielt die so sympathischen Rollen der ehrsamen Bürger, die durch Zufall in die Intrigen des Stücks hineingezogen werden. Er speist etwa in einem guten Restaurant, und an seinem Nebentisch geht die Hölle los. Das Theater der Stars. Rast die Eifersucht. Offenbart sich die große Liehe. Und er braucht nur gut zu essen und ab und zu einen zürnenden oder wohlwollenden Blick hinüber zu werfen. Oder er geht über die Straße, und jemand bittet ihn um Feuer. Jemand ist natürlich ein Extra, ein Star. Die Szene ist der Filmlänge wegen nötig. Solche Rollen spielt Ilinner Heß. Er spielt sie begabt. Man sieht ihn gern. Und er verdient sicher mehr dabei als ich hinter meinem Schreibtisch. Aber eigentlich ist Idinner Heß gar nicht zum Schauspieler geboren. Eigent- lidi ist er dazu geboren, wirklidi ehr würdiger Bürger zu sein. Geheimrat unter einem Minister. Auch als Direktor eines Lyzeums wäre er gut denkbar. Denn Hinner Heß war Primus unserer Klasse. Nur ein Blitzschlag hat ihn ver jagt, hat ihn Scliauspieler in Hollywood werden lassen, hat ihn gehindert, Ge heimrat oder Direktor zu werden. Von diesem Blitzschlag will ich erzählen. Wir standen kurz vor dem Abitur. Wir gingen etwas verschüchtert durch diese ersten Tage des Frühlings, auf gepumpt bis zum Platzen mit Sprach- regeln und mathematischen Lehrsätzen, Geschichtszahlen, die vor- und rück wärts uns durch den Kopf liefen, gejagt von ironischen Bemerkungen unserer Pauker, die cäsarenhaft die Wonnen ihrer Macht auskosteten. Nur Hinner Heß schien sich gleich zu bleiben. Wir benei deten ihn um sein gutes Gewissen, mehr noch um sein fabelhaftes Gedächtnis. Wir cvagten nicht mehr, von den Mäd chen zu reden, denn damals war be hördlicherseits eine Revolution der Ju gend weder bekannt, noch viel weniger konnte sie auf Anerkennung rechnen. Der Frühling stand vor den Toren der Stadt, er warf sein frisches Grün an die Bäume, in den Wald, an die Hänge. Die Birken zitterten im leichten Wind. Die Sonne lag hell auf allen Plätzen, wo Kinder sangen. Die Mädchen vom Ly zeum lachten lauter als sonst, wenn sie uns trafen, aber wir wurden rot und grüßten aus schiefer Lage heraus. Wir hatten nicht einmal den Mut, daran zu denken, daß wir vor einem Jahr alle unsere Liebsten auf Klassenbeschluß hin gewechselt hatten und hinausgewandert waren in das Blühen und Neuwerden, lachend, zerknitterte Gedichte auf den Herzen, aus alten Literaturgeschichten abgeschrieben, oder schwitzend selbst erdacht, in dunkler Nacht bei Sternen- pracht, so leis und sacht gemacht.