AUS MITTELALTER UND RENAISSANCE. 31 FÄLSCHUNGEN DES MITTELALTERS. Schier unübersehbar ist die Zahl der Fälle, da Angehörige von Bistümern und Klöstern Urkunden fabrizierten, um Rechte und Besitjtitel sicher zu stellen oder sich anzueignen, oder auch nur ein Dokument für möglichst alte Traditionen zum Ruhme ihres Stiftes in der Hand zu haben. Vielfach mag es sich dabei nur um die Anerkennung eines tatsächlichen Besi^standes ge handelt haben, den man so, einem Bedürfnis nach Rechtlichkeit entsprechend, legitimieren wollte — aber gewiß nicht immer. Auf ausgesprochenen Fälschungen beruhen zwei Institutionen, die in der Geschichte eine ungemein wichtige Rolle zu spielen berufen waren: die weltliche Herrschaft des Papstes und das österreichische Erzhaus. Der Kirchenstaat beruht auf einer »Schenkung« Kaiser Kon stantins des Großen. Aus Dank für die Taufe und die Heilung vom Aussatj hat er, so wurde erzählt, dem Papst Sylvester nicht nur die geistliche Obergewalt bestätigt, sondern auch die welt liche Herrschaft über Rom, Italien und das ganze »Abendland« abgetreten. Ein herrliches Wandgemälde aus der Werkstatt Raf faels in der Sala di Costantino erinnert den Besucher des Vati kans noch heute an diesen kaiserlichen Gnadenakt. Engel ver folgen neugierig, mit verklärtem Lächeln den historischen Akt — oder lachen sie? In Wirklichkeit ist nämlich diese »Konstantinische Schen kung« erst vierhundert Jahre später, um die Mitte des 8. Jahr hunderts, erfolgt. Der italienische Humanist Laurentius Valla hat in seiner 1440 veröffentlichten Schrift »über die fälschlich für wahr geglaubte und erlogene Schenkung Konstantins«, mit meisterhafter Beherrschung der wissenschaftlichen Kritik, die »dreiste und unheilvolle« Fabel auf gedeckt, um daraus den Schluß zu ziehen, daß der Heilige Vater weder auf Rom noch auf den weltlichen Staat überhaupt ein Recht besiße. Aber das historisch Bedeutungsvolle dieser Fälschung war, daß den Bi schöfen von Rom für Jahrhunderte die Richtung ihrer Politik vorgezeichnet wurde. Niccolö Macchiavelli hat das spätere Un glück Italiens auf diese Korrektur der Weltgeschichte zurück führen zu müssen geglaubt: »Alle Kriege, die von den Barbaren in Italien geführt wurden, waren zum größten Teil von den