DIE ALLGEMEINEN FORMEIGENTÜMLICHKEITEN DER NAUMBURGER STIFTERFIGUREN w, wissen heute nicht mehr unmittelbar, welcher Inhalt den Naumburger Stifterfiguren von ihrem Schöpfer zugrunde gelegt wurde. Uns sind nur Rückschlüsse aus der Formenwelt möglich. Darum ist es angebracht, eine Gesamtschau auf die Naumburger Plastik mit einer Betrachtung dieser Formenwelt zu beginnen. Ubersieht man den Statuenzyklus als Gesamtwerk, so lassen sich bestimmte Gestaltungsprinzipien des Naumburger Meisters erkennen, die auch von den weniger reifen Werken durchaus ablesbar sind. Vor allem fällt, um mit Bcenken zu sprechen, das Prinzip der Kontrastierung auf. Dieses Prinzip offenbart sich an einer ganzen Reihe von Einzelheiten. Ein Vergleich der Charakterköpfe im Westchor zeigt, wie innerhalb des Gesamtwerkes jeder Kopf einen Kontrast zu jedem anderen darstellt. Das gilt hauptsächlich für die männlichen Köpfe. Ihnen gegenüber zeigen die der Frauen weniger Kontraste, aber mehr Variationen. Bei den reifen Statuen sind die Gewandhälften gegensätzlich gestaltet. Sie haben auf der einen Seite glatte, durchgehende Falten, während die andere Seite wesentlich reichere Faltenbildungen aufweist. Das ist besonders deutlich bei Ekkehard, Uta und Gepa zu erkennen. Schließlich ist innerhalb der Zweiergruppen jedes Paar und jede Einzelgestalt zum anderen Paar und zur anderen Einzelgestalt in Körper-, Gewand- und Kopfbildung sowie im Ausdruck gegensätzlich. Diese Kontrastierung, die, wie wir sehen werden, einen Rückschluß auf den Inhalt ermöglicht, ist die erste formale und allgemeine Besonderheit der Naumburger Plastik. Eine zweite grundlegende und in der Absicht des Meisters liegende Formeigentümlichkeit, die seinen Stil nicht nur bestimmt, sondern überhaupt sein Stil zu sein scheint, ist die Art, in der er die Kleider um die Körper legt. Man glaubt unter den Mänteln die bauschende Luft wahrzunehmen. Die täuschende Stofflichkeit der Gewebe wird dadurch erreicht, daß sie sich wie eine eigene räumliche Schicht, als sei sie nicht aus gleichem Stein mit der Statue, lose um das anatomische Gerüst legt. Diese Eigenart ist nur bei den reifsten Werken sichtbar entwickelt. Sie macht es dem Bildhauer möglich, neben der reichen Plastizität einen hohen Grad von Lebensnähe zu erreichen. Bestimmend für den Stil ist außerdem seine Vorliebe für kräftige, oft etwas untersetzte Gestalten mit natürlichen Gesten. Diese Neigung war schon bei den Frühwerken sichtbar und wird in Naumburg eben falls deutlich bei den Statuen und auch in den, wie man annimmt, zeitlich nach den Stifterfiguren ent standenen Lettnerreliefs. Bemerkenswert ist das Festhalten an einem Ärmelmotiv, das stets reich variiert auftritt. Der Ärmel liegt dabei eng am Unterarm an, bildet im Ellenbogen Radialfalten, weitet sich am Oberarm und in der 97