POESIE IM ALBUM Von W. v. SCHULZ E ine stattliche Zahl von Alben liegt vor mir, und zwar die Sammlung aus eineinhalb Jahrhunderten, die wohl einen Überblick ermöglicht. Es sind nicht jene, in welchen sich die Großen verewigt haben und die jetzt auf Auktionen für teures Geld gehandelt werden, wie z. B. das Poesiealbum von Frau v. Stein, welches Goethe gleich auf der ersten Seite mit dem reizenden Yerslein begonnen hat: „Steinchen, bist ein Edelsteinchen.“ Nein, die sind es nicht, es handelt sich bei meiner Sammlung vielmehr um die Liebesergüsse und Treueschwüre, mit welchen sich die unendlich vielen August Schulzes, Fritz Müllers, Ernas und Claras verewigt haben. Und diese geben doch viel besser ein Bild ihrer Zeit wieder, wie die poetischen Ergüsse jener Gewaltigen, die von olympischer Höhe herabschauen. Schon das Äußere dieser Alben trägt das Gepräge ihrer Zeit. Da gibt es um das Ende des achtzehnten Jahrhunderts bis zu den Freiheitskriegen fast nur die kleinen länglichen und flachen Kästchen, in welchen lose Blätter eingelegt sind; äußerlich liebevoll gearbeitet, aus feinem Leder, mit dem Vor- und Zunamen des Besitzers in kleinem schlichten Golddruck unten rechts in der Ecke des Deckels. Der Inhalt der einzelnen Gedichte, besonders die Schluß-Widmung, steht Ende des achtzehnten Jahrhunderts ganz entschieden unter einer gewissen Werther- stimmung; ohne „Grabhügel“, „feuchtes Kirchhofsgras“ oder „bleiche Lippen“ geht selten ein Vers aus. Ein sehr beliebter Schluß lautete z. B. so: 1 Venn sich auj dieses Blatt Dein Auge senkt, Betracht es still, als wär’s mein Leichenstein, Und mild, wie man der Loten sonst gedenkt, Gedenke mein ! Daß dies aber nicht gar so tragisch genommen zu werden braucht, ergibt dann die Schlußwidmung: Zur jreundlichen Erinnerung an die gemeinsam verlebten jrohen Stunden Deine treue Freundin Else B. In der nun folgenden Zeit von Deutschlands Niederlage und seiner Befreiung sind es natürlich die bekannten Schillerschen Zitate, welche die damalige Jugend begeistert niederschrieb und in denen die Vaterlandsliebe ihren beredten Ausdruck fand. So auch auf folgendem Blatt: Es glüh in unsrer Mitte Der Väter Lat und Sitte, Und Freiheit, Glaube, Vaterland Sej unsrer Freuntschajt heilig Band! oder: Ich bin ein deutscher Jüngling ! Beim süßen Namen Vaterland Schlägt mir das Her% Und mein Gesicht wird jeuerroth !