G E S C II Ü P F E Das Abendlicht verblaßte, und Däm merung zog mich aus der Lektüre ins Bewußtsein meiner Umgebung zurück. Ich schaute durch das schmale, läng liche, beschmutzte Fenster. Wir fuhren um die östliche Steilküste herum. Ganz am Rande stampfte ein Ackersmann hinter zwei schweren Gäulen und zog die letzte schwarze Furche ins Land. Weit unten zwischen den Felsen flocht das starre Meer geräuschlos kühle Nebelkränze. Ich stierte auf die dünnen Wasserstreifen. Dann wandte ich den Kopf und sah unvermittelt meinem Mitreisenden ins Gesicht. Er war bei der letzten Haltestelle fast unbeachtet, aber doch nicht ganz unbemerkt eingestiegen. Seine Züge verschwammen in dem matten Licht, das unsere vier engen Wände noch ge fangen hielt, aber offenbar hatten seine Augen schon eine Zeitlang auf meinem Gesicht geruht. Er zuckte mit den Lidern bei meinem unerwarteten Blick, reckte den Kopf und warf einen Blick durch sein dunkles Glas auf den grüngrellen Mondstreifen, der um den vollen Lichtglanz rang, hoch über den gewellten, schattigen Hügeln. „Sonderbare Sache, das Eisenbahn fähren,“ begann er plötzlich. Er strich sich mit der Hand über die Augen, und seine Stimme war leise, fast bittend. ,,i\Ian fällt in ein vorübergehendes Alleinsein mit einem Reisegefährten hinein, und dann ist man wieder fort.“ Es war, als habe er geduldig auf die Aufmerksamkeit des erwünschten Zu hörers gewertet. Ich nickte, und meine Augen gingen wieder zum Fenster: kahle, schwarze Dornenhecken im Januar, unwirtliche Salzküste, flache nördliche Wasser wüste. Da stellte die Lokomotive den Dampf ab, und wir glitten fast ge räuschlos fort von See und Himmel in einen Holzschlag hinein. „Ein trostloses Land,“ sagte ich. „Ach ja, trostlos,“ wiederholte er etwas gequält. „Aber w 7 as mich empört, das ist unsere anmaßende Art, Richter, Kläger und Rat, alles in einer Person sein zu 32