110 Gerhard von Kcußler, Verhältnisses — Stoff---Dividend, Mittel--Divisor und Techne--- Duotient — ist für die unmaschinelle, persönlich-subjektive Aus wirkung des Künstlers nicht nur Platz, sondern sogar ein Thron vorhanden. In allem künstlerischen Schassen — außerhalb von Sklavendienst und Fronarbeit — wählt der Künstler; er wählt den Stoff, den er als Rohstoff vornimmt, und er wählt die Mittel, die er aus fremder oder eigener Erfahrung bezieht und während der Anwendung modistzieren kann. Dieses Wählen aber — bald im Untcrbewußtscin, bald geklärt — bekundet sich nach Maßnahme und Maßgabe des vermuteten oder dargetanen Talentes, erweislich oder erwiesen an den einzelnen Fertigkeiten, wie auch an der Ehr furcht vor dem Handwerk überhaupt, und an der Einschätzung des Zweckes. Alldenmach empfiehlt cs sich heute, einmal von einer anderen Seite her an die Fragen und Vorfragen der Bachschen Choral- tcchnik heranzutreten; nicht vom artistischen Gesichtsfeld aus, wie ich es eingangs vornahm, sondern von dem betricbsgeschichtlichcn Werktag her. Wer heute, arbcitslustig und arbeitsfähig zugleich, in der Bach- Renaissance mittun will, der beginne in den aufgctancn Thüringer Stuben nach 1517 und gürte seine Lenden für eine Luther- Renaissance. — In den evangelischen Druckereien erwachte das Leben, das Setzerlebcn, anno 1524. „Geystliche Gesangk Buchlyn", Enchiridien und offene Blätter bildeten die Wiege des neuen Liedes, und das Tausgerät wurde in der Hauptsache von Luther selbst verfertigt. Luthers persönliche Nähe spürt man anfänglich überall. Von den 10 verschiedenen Drucken, die bereits das zweite Setzer jahr, 1525, liefert, vorwiegend zu Erfurt, nennen vier den Doctor Martin Luther als Corrector. „Eyn Vorred Mar. Luthers" bringt das Nürnberger „Handbüchlein geystlicher Gesengt vn Psalmen", und daö erste Erfurter Gesangbuch hat den Titel „Enchiridion oder eyn Handbuchlcin, eyncm yetzlichen Christen fast nützlich bey sich zu haben, zur stctter vbung vnnd trachtung geystlicher gesenge, vnd Psalmen, Rcchtschaffn vnnd künstlich verthcutscht. mdL.XXIIIl." Unter den 10 Drucken von 1525 beschäftigt den Musiker am mei sten das Erfurter Oeurn lauckamus zu Deutsch", denn cs ver mittelt uns die Bekanntschaft mit dem Choraltechniker Luther. Das Erfurter Oeum bietet nämlich die vorreformatorische Melodie des