Zu Bachs Choraltechnik. 111 ambrosianischen Lobgesanges, und da interessiert es den Musiker vor allem, mit welchen technischen Handhaben Luther die vorreformatorische Melodie vereinfacht und für seine Prosa-Verdeutschung umbildet. Und, Geist zu Geist, meldet sich hier Bachs Orgelsatz zum deutschen De Oeum. Daß die chromatischen Teile bei Bach — „Nun hilf uns" und „Zeig uns" — dem Tatenmenschen Luther „hätten weichlich Vorkommen müssen", ist Parasitenästhetik. Die in „Crffordt zum schwarzen Horn" gebotene Me lodieform von 1525 hat sich etwa 2 Generationen lang gehalten; man begegnet ihr noch 1573 bei Keuchenthal—Wittenberg. Keuchenthals „Kir- chengcsenge latinisch und deutsch" finden sich heute in mehreren Biblio theken, so in Berlin und Hamburg. Dagegen scheint das Erfurter Ts Oeurn nur in 1 Druckeremplar noch vorhanden zu sein, und zwar in der Bibliothek zu Wolfenbüttel, einer Bücherei, die sich vom weitblickenden Fleiß ihrer Verwalter ohnehin reich segnen ließ mit Drucken auL jener Zeit. Andererseits sind diese Urdrucke die besten, oft die einzigen Stu- dienmittel, wenn man die technischen Richtlinien melodischer Adap tion erkunden will, und zwar als Anpassungsprinzipien aus einer Zeit, wo der Choral ein unerläßliches und doch nur spärlich vorrätiges Lebens mittel der evangelischen Gemeinde war, ein Lebensmittel in ihrem heftig angegriffenen, und doch nicht einheitlich beschirmten Dasein und geist lichen Haushalt. Von den 10 Drucken des Jahres 1525 ist einer dazu angetan, getrennte Besitztümer der jungen Liturgie — für Bayern, Thü ringen, Elsaß — zusammenzuziehen. Cs ist die Nürnberger „Form und ordnung eyner Christlichen Meß". Der Partikulariömuö der evangelischen Kirche sah den möglichen Segen seiner Freiheit oder liturgischen Zwanglosigkeit allzu bald in einen Fluch umgewandelt, in den Fluch mißverstandener und mißbrauchter Freiheit. Schon zu Luthers Lebzeiten gab es manch schlimmen almsus cantorum. Mehrfach begegnet man in den damaligen Liederdruckcn einer Warnung Doctoris Martini Luther. „Viel falscher Meister itzt Lieder richten. Siehe dich für, vnd lern sie recht richten." Hier war Luther von seinen ,lichtenden' Zeitgenossen ebenso mißverstanden worden, wie später Bach von seinem komponierenden Nachfolger Doles. Die Anmaßung, mit der Goethes Musikreferent Zelter den vierstimmigen Choralsatz Bachs gelegentlich korrigiert, sei hier als bekannt vorausgesetzt; ebenso die schlechte Orientierung über Bachs Choraldiction durch die untertierte Ausgabe seines Sohnes Philipp Emanuel. Auch auf das groteske Unverständnis für Bachs Choraltechnik bei Abt Vogler und bei besten artig er gebnem Schüler Carl Maria von Weber ist hier nicht einzugehen. Keinen dieser Mißdeuter konnte Bach selbst zurechtsetzcn, hingegen