Johann Sebastian Bachs Kanonwidmungen 87 3. Der zweistimmige Kanon BWV 107 j Wieder sogenannte „Walther“-KanonBWVio73, so ist auch der Kanon BWV 1075 immer wieder mit einer bestimmten Person in Verbindung gebracht -worden: C. H. Bitter, der 1880 erstmals auf das in Privatbesitz befindliche Blatt aufmerksam machte, glaubte an eine Widmung an den Thomasschul rektor und Freund Bachs Johann Matthias Gesner und vermutete, daß ein damals in der Hand desselben Besitzers befindliches Widmungsblatt 23 Carl Philipp Emanuel Bachs, das offenbar dem gleichen Stammbuch entnommen -war, diese Annahme bestätige, da es folgenden Wortlaut aufweise: Nil sine fine. Hiscepaucis memoriae sui Professoris se commendare debuit. Carol. Philip. Eman. Bach. Lipsiae d. 20. Jan. 1734. Im Hinblick darauf, daß Gesner 1734 Leipzig wieder verließ, hielten Bitter, Terrv und andere es für gerechtfertigt, den Kanon BWV 1075 als Erinne rungsgabe anzusehen, die Bach „seinem Herrn Pathen zum Andencken bevfügen“ wollte. War Gesner selbst auch nicht unter den Paten von Bachs Kindern zu finden, so stand doch immerhin seine Frau Elisabeth Charitas geb. Eberhardt, eine Pfarrerstochter aus Geraberg bei Ilmenau (geb. 20. Okt. 1695 und getraut 12. Okt. 1718 in Geraberg, gest. 25. Jan. 1761 in Göttingen) 24 , Pate bei Johann August Abraham Bach (5. Nov. 1733). Wollte man diese Erklärung gelten lassen, dann müßte man Bach unterstel len, daß er die Paten seiner Kinder als „Paten“ statt als „Gevattern“ ange redet und so zwei zu seiner Zeit klar unterschiedene Begriffe 25 durcheinan dergeworfen habe. Abgesehen davon, daß dies unvereinbar scheint mit dem sicheren Sprachgefühl, wie es Bach in seinen erhaltenen Briefen an den Tag legt, wird man Bach auch die Kenntnis des gleichen Vokabulars Zutrauen dürfen, das J. G. Walther benutzt, wenn er Bach seinen „Vetter und Ge vatter“ nennt (6. Aug. 1729) 26 . Somit muß mit dem „Herrn Pathen“ ein Patenkind Bachs gemeint sein — denn Bachs eigene Paten, auf die die Anrede auch zutreffen könnte, waren schon 1685 und 1687 gestorben. Der scheinbare Widerspruch zwischen dieser Feststellung und dem Wid mungseintrag C. Ph. E. Bachs läßt sich offenbar durch die Annahme lösen, daß Bitters Lesart durch Lese- oder Druckfehler entstellt ist. Die intendierte Fassung kann unter Zuhilfenahme etwa des folgenden Textes rekonstruiert werden, den ein F: C: Frankenau-Hafniae-Danus. . . Halae ad Salam d: 16— CalendAug: 1749. in das Stammbuch 27 des Rostockers Peter Heinrich Behr- 23 Die Handschrift wurde im Auktionskatalog XLHI (28-/29. Nov. 1919) von Karl Ernst Henrici, Berlin (S. 1, Nr. 4) und wenig später im Auktionskatalog 45 von Leo Liep- mannssohn, Berlin (S. 3 8, Nr. 413) angezeigt. Der gegenwärtige Besitzer ist nicht bekannt. 24 Vgl. Johann Matthias Gesner, Biographia Academica Gottingensis {coli, et ed. Jerem. Nie. Ejring), Bd. II, Halle 1768, S. 158, 160, 168, und Neue Deutsche Biographie, Bd. 6, Berlin 1964. Geraberg ist auch der Heimatort von Bachs Schüler Johann Martin Schubart (vgl. BJ 1953, S. 7). 25 Vgl. Grimms Wörterbuch und Paul Fischer, Goethe-Wortschatz, Leipzig 1929. 26 BJ 1933, S. 107. 27 Privatbesitz.