24 Tatjana Schabalina teten Stimmen dieser Fassung in der alten dorischen Notierung geschrieben, wie sie sich auch in den Weimarer Manuskripten findet. Im Unterschied hierzu sind alle auf uns gekommenen Stimmen der Köthener Fassung in der moder neren, nicht dorischen Notierung aufgezeichnet. Spräche nicht die Handschrift Meißners dagegen, so könnte man geradezu annehmen, daß die Stimmen die ser Fassung unmittelbar nach der Weimarer Periode folgten beziehungsweise sogar noch in diese gehörten. Zu beachten ist hierbei, daß - von der dorischen Notation und den Transpositionskorrekturen einmal ganz abgesehen - die un tersuchten Stimmen auf Papier der Weimarer Periode mit dem Wasserzeichen Weiß 36 geschrieben wurden. Jedoch besteht über die Handschrift Meißners in den Stimmen Violino 1, Violino 2 und Viola keinerlei Zweifel, 29 und was das Wasserzeichen betrifft, so konnten in den ersten Leipziger Jahren neu aus zuschreibende Stimmen für Wiederholungen von Weimarer Kantaten durchaus auf übriggebliebenes Papier dieser früheren Periode geschrieben werden. Folglich gehören die von Meißner und den Kopisten Anonymus lg und Anoymus Ik geschriebenen d-Moll-Stimmen der Kantate unzweifelhaft in die Leipziger Zeit. Wenn aber Bach die Kantate in Leipzig wiederholte, vielleicht auch mit einigen Änderungen, warum verwendete er dazu nicht die Köthener Stimmen, die ja schon in (Kammerton)-d-Moll standen und nicht mehr die dorische Notation verwendeten? Wozu die Rückkehr, die Köthener d-Moll- Fassung „überspringend“, zu den Weimarer Stimmen und zur Notwendigkeit einer erneuten Transposition? Nicht zu reden von der Fehleranfälligkeit, zu mal wenn die Transposition nicht von Bach, sondern von - teilweise unerfah renen - Kopisten vorgenommen wurde. III Nun kann es einerseits scheinen, als ob dem Fragenkomplex um die verschie denen Fassungen von „Mein Herze schwimmt im Blut“ durch die Heran ziehung des bislang von der Forschung nicht berücksichtigten Autographs der Violino-I-Stimme im Puschkin-Haus neue Ungewißheiten hinzugefügt würden. Dies um so mehr, als der Notentext dieses Manuskripts keiner der oben beschriebenen und veröffentlichten Fassungen entspricht. Denn erstens belegt das genannte Autograph, daß die erste Violine eine führende Rolle in der gesamten Kantate spielt, ausgenommen die Sätze 3 und 6, die keine Violinstimmen enthalten. Sogar in der Arie „Stumme Seufzer“ (Satz 2) ist die Violine das Soloinstrument, und auch in der Arie „Wie freudig ist mein Herz“ (Satz 8) ist die erste Instrumentalstimme wieder die Violine, ob- 29 Vgl. Dürr Chr 2, S. 60, 147f.; TBSt 4/5, S. 123 („Anonymus 1“); BC 1/2, S. 521; NBA 1/20 Krit. Bericht, S. 34f.