8 Alfred Dürr ArVipitpn dieser Art, wenngleich unter Einschränkung durch verschiedene Kriegsverluste. Im folgenden soll nun versucht werden, mit den Mitteln exakter Quellen forschung eine revidierte Chronologie des Bach sehen Vokalwerks zu ent werfen. Da sich die hier angestellten Untersuchungen jedoch nur an den Originalhandschriften vornehmen lassen, bleiben alle diejenigen Komposi tionen außer Betracht, zu denen keine derartigen Handschriften erhalten sind, die uns also nur in Kopien aus späterer oder nicht bestimmbarer Zeit überliefert sind. Wenngleich die dargelegte Chronologie im ganzen einwandfrei gesichert scheint, so trägt die Darstellung doch im einzelnen noch weitgehend den Charakter des Vorläufigen und bedarf in jedem Einzelfalle der Nachprüfung im Rahmen der Kritischen Berichte der Neuen Bach-Ausgabe. Die folgen den Ausführungen mögen daher mehr als Diskussionsgrundlage denn als fertiges Schema verstanden werden; die Ideallösung wäre dagegen in einer Vereinigung quellenmäßiger und stilkritischer Untersuchungen zu sehen — ein Plan, der sich vielleicht in späteren Jahren einmal durchführen läßt. I. Die Bachschen Originalhandschriften Jede Untersuchung an der Quelle setzt voraus, daß wir uns über ihre Ent stehung allgemeine Begriffe gebildet haben. Zunächst sei daher das Zu standekommen der Originalhandschriften zu einem Bachschen Vokalwerk an einem angenommenen Normalfall aufgezeigt. Unter Origmalhand schriften verstehen wir dabei alle diejenigen Handschriften, die zur Auf- führung eines Werkes unter der Leitung des Komponisten hergestellt und verwendet worden sind 3 , gleichgültig, ob sie autograph, also von der Hand Bachs geschrieben, oder durch einen von Bach beauftragten Kopisten her gestellt worden sind. Daher fallen Kopien von BachichülernfHIeTur deren eigene Aufführungen oder zu Unterrichtszwecken hergestellt worden sind, nicht unter den Begriff der Originalhandschrift in dem von uns gewählten Sinne. Am Anfang jeder Neukomposition steht eine eigenschriftliche Partitur Bachs. Nach dieser wurden nun die Stimmen herausgeschrieben, und zwar zunächst je eine für jedes Instrument und jede Singstimme. Diese Tätigkeit wurde meist nicht von Bach selbst besorgt, sondern von einem besonders vertrauenswürdigen, möglicherweise dafür besonders honorierten Kopisten, vielleicht auch von einem Chorpräfekten. Wir nennen ihn im folgenden den Hauptschreiber (des jeweiligen Werkes). Wenn die Kopierarbeit bei starker Besetzung und größerer Ausdehnung des Werkes viel Arbeit erforderte, wurden zuweilen auch mehrere Hauptschreiber herangezogen. Nun wurden 3 Um eine bessere Übersicht über die Aufführungen unter Bachs Leitung zu erlangen, werden im folgenden auch Werke mitberücksichtigt, die von fremden Komponisten stammen, jedoch unter Bachs Leitung aufgeführt wurden. Obwohl sie keine Original handschriften im dargelegten Sinne sind, werden sie im folgenden diesen gleichgestellt.