Kleine Beiträge 153 Bachs Nachfolger im Thomaskantorat als kurfürstlich-sächsischer „Cammer-Compositeur“ Nach Angabe der sogenannten Riemer-Chronik im Stadtarchiv Leipzig starb Bachs Leipziger Amtsnachfolger Gottlob Harrer am 9. Juli 1755 in Karlsbad als „Sr. Königl. Maj. in Polen und Churfärstl. Durchl. zu Sachsen Cammer- Compositeur und E. Edl. Hochw. Raths dieser Stadt wohlbestalter Cantor bey der hiesigen Thomasschule“ (Gustav Wustmann, Qiteilen zur Geschichte Leip zigs, Bd. I, Leipzig 1889, S. 439). Arnold Scherings grundlegender Harrer-Auf satz (BJ 1931, S. 112 ff.) läßt die Titelfrage unerwähnt, hingegen heißt es 1941 im 5. Band der Musikgeschichte Leipzigs (S. 341): „Diese Würde muß ihm Ende der vierziger Jahre zugefallen sein.“ Datum und Quelle finden sich aller dings schon 1906 bei Carl Mennicke (Hasse und die Brüder Graun als Sympho niker, Leipzig 1906, S. 74), wo es heißt, daß Harrer „seine im April 1755 er folgte Ernennung zum sächsischen ,Kammerkompositeur‘ vermutlich Hasse zu verdanken hat“. Als Quelle nennt Mennicke „Dresden, Staatsarchiv; loc. 907, vol. III. Bl. 262“. Nach freundlichem Hinweis von Dr. Ortrun Landmann, Dresden, ist die von Mennicke nur summarisch zitierte, von Schering gänzlich übersehene Quelle auch für die Bach-Forschung von Interesse. In der Tat enthält der Aktenband Die ltaliänischen Sänger und Sängerinnen, das Orchestre, die Täntzer und Tänt- zerinnen, auch andere zu der Opera gehörige Personen, betr. Ao. 1740. Vol: III. im Locat 907 des Staatsarchivs Dresden als Bl. 283-284 (olim 263-264) eine Leipzig den 28. April 2755. datiert und Gottlob Harrer Chor: Mus. Director Unterzeichnete Supplik, in der an die Clementz und Gnade des Kurfürsten ap- peliert und die Glückseligkeit derer gepriesen wird, „welche durch Solche Al lerhöchste Huld mit einem Character allermildest begnadiget worden. Es ha ben Ewr: Königl: Maj: und Churfl: Durchl: allergnädigst geruhet meinem Antecessori Job: Seb: Bachen den Tittel eines Cammer-Compositeurs ange- deyhen zu laßen, der auch solchen biß an sein Ende fortgefiihret.“ Unter Hin weis darauf, daß er „als Supernumerarius im Pohlnischen Orchestre und auch nachher in Sachsen vielmals bei Musiquen. .. gebrauchet worden ‘ sei, erbittet Harrer ein entsprechendes Prädikat. Schon am 30. April 1755 erging das entsprechende Dekret (a. a. O., Bl. 282, olim 262) über die Beilegung des Charakters eines Cammer-Compositeurs in Rücksicht auf Harrers Verdienste beim königlichen Orchestre und seiner „auch sonst besizenden guten Geschicklichkeit im componiren“. Im Unterschied zur Verfahrensweise bei Bach waren zwischen Gesuch und Bewilligung nur zwei Tage vergangen. Entgegen Mennickes Annahme dürfte hier Graf Brühl seine Hand im Spiel gehabt haben, und die Dresdener Ernennung wäre somit das Pendant zu Harrers Berufung in das Leipziger Thomaskantorat. * * *