Ein apokryphes Händel-Concerto in Joh. Seb. Bachs Handschrift? Von Hans-Joachim Schulze (Leipzig) , Zu den ältesten Desiderata der Bach-Forschung gehört die Verifizierung eines Hinweises von Philipp Spitta, dem zufolge „zu einem werthvollen, siebensätzigen Concerto grosso Händels aus F moll.. . die von Bach geschriebenen Stimmen“ vorliegen sollen. 1 Erfahrungsgemäß verbergen sich hinter derartigen Bemerkun gen Spittas umfangreichere Recherchen, deren Ergebnis mit Rücksicht auf den Gang der Darstellung jedoch in kürzestmöglicher Form mitgeteilt wird. Offen kundig gilt dies nicht nur für den zitierten Satz, sondern auch für die zugehörige Fußnote, die im Blick auf Bachs Abschriften von Händels Brockes-Passion sowie des eben erwähnten Konzerts bemerkt: „Beide Manuscripte auf der königl. Bibi, zu Berlin. Bei letzterem, zu dem Herr Dr. Rust eine Partitur angefertigt hat, fehlt die Angabe des Autors. Herr Dr. Chrysander theilt mir mit, daß der Händelsche Ursprung unzweifelhaft sei, da Motive des Concerts in späteren Händelschen Werken wiederkehrten. Auch mir sind gewisse Stellen des dritten Satzes, einer Fuge, aufgefallen, die mit den doppeltcanonischen Führungen im Schlußchor des .Messias“ die sprechendste Aehnlichkeit haben. Im fünften Satze dagegen finden sich Gänge, welche ziemlich genau im Bmoll-Praeludium des i. Theils des .wohltemperirten Claviers“ (Takt 20 bis 22) wiederkehren.“ Erfolglos biteben gleichwohl in den letzten Jahrzehnten vielfache Versuche, jener Handschrift wieder habhaft zu werden: Weder in den Beständen von BB und SPK noch anderwärts war eine Spur des Konzerts aufzufinden. Somit läge es nahe, entgegen allen Erfahrungswerten eine Mystifikation anzunehmen, gäbe es nicht noch andere Materialien, die Spittas Darstellung im Kern bestätigen und sogar deren Vorgeschichte umrißhaft hervortreten lassen. Es handelt sich um Briefe Philipp Spittas, die dieser während der Arbeit an seiner Bach-Biographie an den Redakteur der Bach-Gesamtausgabe und nach maligen Thomaskantor Wilhelm Rust (1822-1892) in Berlin richtete und in de nen es mehrheitlich um Quellenfragen geht. 2 Zum ersten Male erwähnt wird hier das fragliche Konzert am 27. März 1872 in einem Schreiben aus Sondershausen, Spittas derzeitigem Wirkungsort: „Was Sie über autographe Stimmen zu einem f moll Concert für Streichinstrumente schrei ben, die sich auf der Berliner Bibi, finden, ist mir insofern fatal, als ich glaubte, alles dort vorhandene durchsucht u. eingesehen zu haben (Espagne versicherte es wenigstens); nun ist mir dieses dennoch entgangen! Würden Sie wohl noch einmal nachsehen, ob die Bachsche Handschrift auf frühere oder spätere Jahre weist? Ich werde mir dann Ihren Partiturentwurf von Chrysander zu verschaffen suchen.“ Allem Anschein nach hatte Rust Spitta nur über die Tatsache seines Fundes un terrichtet und eine Spartierung in Aussicht gestellt, die er vorerst zur Begutach- 1 Spitta I, S. 622 f. 2 Musikbibliothek der Stadt Leipzig, Go. S. 2S7. Vgl. den in Fußnote 15 zitierten Katalog der Sammlung Gorke. Diese befindet sich als Dauerleihgabe im Bach-Archiv Leipzig.