Geschichte als Sozialpsychologie 515 4. Der Versuch, den Karl Lamprecht, vielleicht zu weit ausgreifend für einen einzelnen, an der Totalität der deutschen Geschichte an zustellen unternahm, er, als Historiker: dieser Versuch wird viel leicht am besten von der sozialpsychologischen Seite her an einem viel begrenzteren Entwicklungsstück wiederholt werden. Ich habe mir vorgesetzt, dies an der seelischen Vorgeschichte des Weltkrieges zu unternehmen, wobei sich zugleich herausstellen mag, wieweit ein solcher Versuch implicite Geschichte schreibt und wieweit er davon entfernt bleibt. Dies wird für die Klärung des heutigen Verhält nisses der beiden Forschungszweige zueinander förderlicher sein können, als aller bloß wissenschaftstheoretische Systemzank, der uns dieser Klärung keinen Schritt nähergebracht hat. Eine Voraussetzung freilich, das bekenne ich, trage ich dabei an die forschende Arbeit heran: dem Dogma, das uns verschiedene Arten von Wissenschaft lehrt und glauben machen will, versage ich die Nachfolge. Ich sagte es schon im Auftakt zu dieser Abhandlung: Zwei grundsätzlich verschiedene Arten von Wissenschaft kann es so wenig geben, wie es zwei verschiedene Arten von Kunst oder von Religion geben kann. Wir fühlen uns hier noch einmal auf diesen Satz hingestoßen und erläutern ihn etwas näher. Es gibt mancher lei Weisen, die Wirklichkeit zu ergreifen: betrachtende und gestal tende, aber unter den betrachtenden ist die erforschende so gewiß eine Einheit in sich, wie etwa unter den gestaltenden die künst lerische oder die (von ihr ganz wesensverschiedene) technische. Was Eduard Spranger in einem leuchtenden Wurf als „Lebensformen", unterschieden hat, bedeutet jedes einen Kreis für sich, dessen Er lebnis eine absolut geschlossene Einheit ist. Gewiß, dieser Kreis hat Unterbezirke, hat Sektoren; genau wie der Kreis der künst lerischen Gestaltung oder der philosophischen Betrachtung. Die Kunst zerfällt („bekanntlich“, möchte man ironisch hinzufügen) in „Künste“: Musik, Dichtung, Malerei, Graphik, Bildnerei, Baukunst, Mimik — die sich durch die Wahl der Mittel des künstlerischen Aus druckes, aber auch durch die Begrenzung ihrer Gegenstandssphären unterscheiden; nie hat die Kontroverse aufgehört, ob Musik „das selbe“ (z. B. philosophische Ideen) zu gestalten vermöge wie Dich tung, und die Besinnung auf den „Inhalt“ der Architektur bewegt ja gerade wieder unsere Tage. In den Religionen gibt es ethische, mystische, mythische, magische Erscheinungsformen, in der Tech- 33*