Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 29.09.1907
- Erscheinungsdatum
- 1907-09-29
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-190709293
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- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-09
- Tag1907-09-29
- Monat1907-09
- Jahr1907
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Anzeigen-Pret» für Inserate au« Leipzig und Umgebung die «gespaltene Petit,eile 25 Pf., finanziell« Anzeigen 30 Ps., ReNamen 1 M.; von au«wLr1« 30 Pf., Reklamen 1.20 M-: vomAu«land50Pf., finanz. An zeigen 75 Ps., Reklamen 1.50 M. Inserat« v. Behörden im amtlichen Dell 40 Pl. Beilagegebübr 5 M. p. Dausend rikl. Post gebühr. aielchLirran,eigen an bevorzugte: Stelle im Preise erhöht. Rabatt nach Daris, gesterteilte Aufträge können nicht zurück gezogen werden, gür da« Erscheinen an bestimmten Tagen und Platzen wird keine Garantie übernommen. Anzeigen-Annahme: Augustusplatz 8, bei sämtlichen Filialen u. allen Annoncen« Expeditionen de« In- und Auslande« Haupt - Filiale Berlin: Earl Dunck: . Herzogi. Baqr. Hofbuch handlung, Lützowstratze 10. (Delephon VI, Nr. 4603). Nr. 27V. Sonntag 29. September 1907. 101. Jahrgang. Das wichtigste vorn Tage. * Der Kaiser hat deu Herzog Ernst von Sachsen- Altenburg anläßlich seines 60 jährigen pre u.ß ischen Mili - tärdienstjubiläums zum Generaloberst ernannt. sS. Dischs R.> Die Leiche des Großherzogs von Baden wird voraus sichtlich amDienstag von derMainau nach Karlsruhe über geführt werden. lS. d. Art.) * Das Urteil im Beleidigungsprozeß Roeren wider Schmidt lautet gegen Schmidt wegen öffentlicher Beleidigung Noerens auf 100.2 Geldstrafe, event. 10 Tage Gefängnis. lS. LetzteTep.) * Nachdem Herr v. Iswolski nach Wien zurückgekehrt war, ist eine volle Verständigung in seinen Konferenzen mit Herrn von Aehrenthal zustande gekommen. Großfstürst Wladimir ist in Wien ong«komm«n. lS. Ausl.) * InNorwegen hat einWechsel im M i n i st e r i u m statt- gesunden. lS. Ausl.) * Auf Celebes erstürmten die Holländer eine Festung. lS. Ausl.) Grohherzog Friedrich II. von Vaden. Es mag nicht leicht sein, einem Fürsten auf dem Throne zu folgen, der nicht nur von so ausgesprochener Eigenart gewesen ist, wie Groß herzog Friedrich, sondern der sich auch gerade durch diese seine Eigenart die Verehrung und Liebe seines Volkes in beispiellosem Maße erworben hatte. Da läuft der neue Regent auf Schritt und Tritt Gefahr, daß sein Auftreten nnd seine Regiernngshandlungen überall im Spiegel des vorangegangenen betrachtet und — unterschätzt werde. In dieser Lage befindet sich der neue badische Großherzog. Aus diesem Grunde ist es vielleicht für den neuen Großherzog selbst gut gewesen, daß seine verhältnismäßig lange Thronfvlgezeit ihm ermöglicht hat, die mannigfachsten persönlichen Beziehungen im Lande anzuknüpfen und zu pflegen. Denn Großherzog Friedrich II. hat be reits am 9. Juli d. I. sein 50. Lebensjahr vollendet. Dabei ist er eigent lich nach außen bisher nie in irgendwie bemerkenswerter Weise hervor getreten, ganz im Unterschied etwa zum bayrischen Thronfolger, von dem man sich gewöhnt hat, alle paar Jahre mal ein besonders markantes politisches Mort zu hören. Das mag zum Teil mit der gerade in den letzten Jahren öfters schwankenden Gesundheit des bisherigen Erbgroß- Herzogs zusammengehangen haben; zum Teil aber ist es wohl auch ab- sichtliche Zurückhaltung gewesen. Nichtsdestoweniger hat auch Großherzog Friedrich II. in der Stille die Fäden persönlicher Beziehungen bereits gesponnen. Die Söhne des Großberzogs, Friedrich und der im Jünglingsalter verstorbene Ludwig, sind weder durch Privatlehrer allein unterrichtet worden, noch haben sie eine öffentliche Schule besucht. Der Großherzog hat vielmehr eine Klasse von gleichaltrigen Knaben gebildet, die, zumeist bürgerlichen Bcamtenfamilien entstammend, mit den jungen Prinzen zusammen unterrichtet wurden. So hat sich um die jungen Prinzen und ihre Kameraden ein weit intimeres Band geschlungen, als das bei dem Besuch einer öffentlichen Schule denkbar gewesen wäre. So ist der künftige Landesherr durch seine Kameraden und deren Familien von Jugend auf in das bürgerliche Leben des badischen Volkes hineingewachsen. Auf diesem Grunde bat Erbgroßherzog Friedrich denn auch tatsächlich weiter gebaut: sowohl in Freiburg, das sich immer mehr zur südlichen Hauptstadt Badens ausgewachsen hat und wo Erbgroßherzog Friedrich lange Jahre, zuerst als Regiments-, dann als Brigade, und schließlich als Divisionskommandeur seinen Hof gehalten hat, wie besonders in dem letzten halben Jahrzehnt, als er nach seinem Austritt ans dem aktiven Militärdienst seinen ständigen Wohnsitz in Karlsruhe gc- nommen hatte. Zwischen Freiburg und Karlsruhe hat Großherzog Friedrich einige wenige Jahre außer Landes, als Kommandeur des VIH. Armeekorps, in Koblenz Angebracht. Er hat somit die eigentliche militärische Lauf bahn vollständig durchgemacht. Trotzdem ist Großherzog Friedrich nicht das, was man eine militärische Natur nennt. Er ist es ebensowenig, wie es sein Vater gewesen ist. Wohl hatte der vorige Großherzog die hrhe Bedeutung militärischer Disziplin für die Einigung und die nationale Festigung Deutschlands erkannt und ihr immer von neuem, besonders bei KriegcrvereinSfesten, beredten Ausdruck gegeben. In sofern wird es auch zwischen Vater und Sohn keinen Unterschied geben. Aber Anlagen und Interessen des einen wie des anderen gehen doch nach einer anderen Richtung. Es war das kulturelle Leben des Volkes selbst, in wirtschaftlicher, besonders aber in geistiger und sittlicher Hinsicht, was den Vater beschäftigt und bewegt hat, und was er in Ge- sinnungsgemeinschaft mit seinem Volk selbst zu pflegen und zu fördern, als seine Lebensaufgabe angesehen hat. Dieses aus der Tiefe eines reichen und frommen Gemütes ent- springende Verlangen nach einer natürlichen konstitutionellen Wechsel wirkung zwischen Fürst und Volk hatte Großherzog Friedrich bereit- von seinem Vater Leopold geerbt, den ein anderer deutscher Fürst einmak den einzigen mit Begeisterung konstitutionellen Fürsten seiner Zeit ge nannt bat. ES spricht alles dafür, daß diese- beste Erbteil deutschen Fürstentums sich vom Großvater über den Vater auch auf den Sohn fortgeerbt hat. Wenn da- ursprünglich auf den Geistlichen gemünzt: Wort „psotus kncit tdsolognun", daß nämlich nicht die rechte Lehre, sondern daS warme Gemüt den Geistlichen macht, nach dem Vorgang des alten Großherzogs auch auf den Fürsten sinngemäße Anwendung finden darf, so ist für eine segensreiche Regierungszeit auch des neuen Großherzogs alle Gewähr gegeben. Es verdient dabei hervorgeholrrn zu werden, daß Großherzog Friedrich H., und hier vielleicht stärker als sein Vater, sich gerade auck> seiner süddeutschen Eigenart bewußt ist. Es ist die behaglichere, nngezwungenere und freiere süddeutsche Act, die dem ganzen Empfinden des neuen Großherzogs mehr entspricht als norddeutsche Disziplin und Förmlichkeit. Die Thronbesteigung des neuen Großherzogs fällt in eine Zeit, die politisch für Baden nicht ganz bedeutungslos ist. Seit dem Abgang des Ministers Schenkel hat die badische Regierung bekanntlich eine schärfere, nicht nur von Fall zu Fall, sondern grundsätzlich abweisende Stellung der Sozialdemokratie gegenüber eingenommen. Es ist fraglos, daß dieser Kurswechsel der Regierung vom damaligen Großherzog ebenio gebilligt wie gedeckt worden ist. Das ist leicht verständlich. Denn die schmerzlichen revolutionären Erinnerungen seiner Jugend haben es dem verstorbenen Großherzog immer besonders schwer gemacht, die Sozial demokratie objektiv zu würdigen. Er hat darum wohl auch den Unter schied, der in Stimmung und Tonart zwischen der badischen Sozial demokratie und der Sozialdemokratie im Norden, z. B. in Sachsen, be steht, nickt in Anschlag gebracht. Aber auch vom neuen Großherzog ist bekannt, daß er jedenfalls das Stichwahlabkommen der Liberalen M't Sozialdemokraten entschieden gemißbilligt hat. Nur bleibt abzuwarten, ob er nicht leichter als sein Vater sich zu einer Wiederaufnahme der früheren Art der Behandlung der Sozialdemokratie verstehen wird, wenn, wie cs den sicheren Anschein hat, die politischen Parteien in der Zurückweisung des neuen Rcgierungskurses einig bleiben werden. Daß die Bayern, wie der Fall Roßhaupter zeigt, auch jetzt noch ihre alte Praxis beibebalten haben, wird auch in Baden eine nachträgliche Um kehr wesentlich erleichtern. Im großen und ganzen freilich dürfte es so liegen, daß der neue Großherzog konservativeren Neigungen huldigt als sein Vate-v Allein damit ist keineswegs gesagt, daß auch der Kurs der Regierung dem folgen wird. Das würde dem starken Zug des badischen Volkes zum Liberalismus widersprechen. Leider ist die Ebe des jetzigen Großherzogs kinderlos geblieben. Der nunmehrige Thronfolger, Prinz Max, ist ein jüngerer Vetter des Großhcrzogs. Seit dem 20. September 1885 ist Großherzog Friedrich mit der nastanischen Prinzessin Hilda, der einzigen Schwester des gegenwärtigen Großberzogs von Luxemburg vermählt. Auch sic, die jetzige Großbcrzogin, ist ebenso wie ihr Gemahl, bisher nach außen nur wenig hervorgetreten. Der badische Frcuenverein, in dem sich die alte Großherzogin in 50 Jahren ein unvergleichliches Feld segensreicher Liebestätigkeit geschaffen hat, wird auch künftig noch auf deren Für sorge im wesentlichen angewiesen bleiben: und nur allmählich wird die neue Großherzogin in diese ihr als Landesfürstin zufallende Aufgabe hineinwachsen können. Aber, wie ihr Gemahl, mit dem sic in glück lichster Ehe vereinigt ist, erfreut auch sie sich bei allen, die sie näher kennen, der herzlichsten Zuneigung und Liebe. So bricht durch allen Schmerz um den Verlust eines der edelsten Fürsten, die je gelebt haben, doch die Hoffnung durch, daß auch unter dem neuen Herrscher das badische Volk mit seinem Jürstenbause so innerlich und innig verbunden bleiben wird, wie cs das unter dem Vater und Großvater, unter Groß herzog Friedrich und Großherzog Leopold gewöhnt gewesen ist. * Zum Tode des Großherzogs Friedrich I. von Baden liegen noch folgende telegraphische Meldungen vor: Am Sterbelager. * Mainau, 28. September. lEigenc Drahtmeldung.) Morgens I/28 Uhr wurde von den behandelnden Aerzten folgender Krankheits bericht ausgegebcn: Der Großherzog hat die letzte Nacht im gleichen Schlummerzustand verbracht, wie den gestrigen Tag. Die Atmung war oft oberflächlich und leise, oft tief und keuchend, aber unzulänglich: letz teres gilt auch von der unregelmäßig und schwach gewordenen Herz tätigkeit. Das Bewußtsein ist nicht wiedergekehrt. Der Großherzog leidet also nicht unter seinem bedauernswerten Zustand. Eine Nahrungsauf nahme hat seit gestern früh nicht mehr stattfinden können. — Die An- zeichen der beginnenden Auflösung des verewigten Grobherzogs mach ten sich kurz vor acht Uhr bemerkbar. Die großherzogliche Familie, mit Ausnahme der Hochbetagien Prinzessin Wilhelm, betrat das Sterbe- zimmer. In einem Nebengemach versammelten sich die Minister .on Dusch und Freiherr von Marschall, die Adjutanten und die persönliche Bedienung. Der Präsident des Oberkirchenrats Dr. Helbing trat zu Häupten des Bettes und sprach einige Bibelworte. Während herrlicher Sonnenschein das Nebenzimmer durchleuchtete, hauchte Friedrich von Baden seine Seele aus. Ein Kruzifix steht auf dem Tisch, Blumen sind über die Bettdecke gestreut. Das Antlitz zeigt tiefen Frieden. Sonn- tag findet die Einbalsamierung statt durch die Aerztc, die den Großherzog in seiner Krankheit behandelt haben; dann erfolgt die feierliche Auf bahrung in der Schloßkapelle. Die Ueberführung der Leiche des Groß herzogs wird voraussichtlich am Dienstag, mittags 12 Uhr, zu Schiff nach Konstanz erfolgen, wo sic um 2 Uhr eintrifft; von dort soll ein Sonderzug die Leiche nach Karlsruhe bringen, so daß sie um 6 Uhr in Karlsruhe eintreffen dürfte. 2. Beileiöskundgebungen. * München, 28. September. sEigene Drahtmeldung.) Der Prinz- regent hat sofort nach Eintreffen der Todesnachricht des Großberzogs von Baden an die Großherzogin, den Deutschen Kaiser, den neuen Groß herzog und an die Kronprinzessin von Schweden Beileidstelegramme gesandt und mit der Vertretung bei den Leichenfeierlicheitn Prinz Lud wig von Bayern betraut. — Am Schluß der heutigen Sitzung der Kam mer der Abgeordneten gedachte Präsident Dr. Orterer des Ablebens des Großberzogs von Baden. Die Geschichte des Vaterlandes werde dauernd verzeichnen, welch hohe Verdienste der Heimgegangene Inhaber des TbroneS der Zähringer sich in großer Zeit erwarb, als er mit Auf opferung und Treue an dem großen Kampfe sich beteiligte, den wir für die Freiheit des Vaterlandes kämpften. Es wird ihm unvergessen blei- ben, daß er bei der Einigung des Deutschen Reiches an hervorragender Stelle stand. Alle nehmen innigen Anteil an der Trauer des freund nachbarlichen Staates. Das HauS erhob sich von den Sitzen. sS. Wei- teres 8. Saite.) Verchspolitische Kleine. Die Erörterungen über die nächsten reichsparlamentarischen Auk- gaben sind zwar während der ganzen sommerlichen Pause sortgesponnen worden. Gegenwärtig aber werden sie mit einem Eifer betrieben, als stände die Eröffnung des Reichstages unmittelbar bevor. Trotzdem ist immer noch nicht recht zu sehen, was geschehen nnd was unterlassen wer den soll. So ist zum Beispiel schon vor Wochen offiziös angedeutet wor- den, daß mit Rücksicht auf den Block die Sanierung der Neichssinanz- misere nock um ein Jahr znrückgestellt werden soll. Aber das scheint inzwischen vergessen oder geändert worden zu sein. Wenigstens beteiligen sich gerade an der Diskussion über diese Materie Politiker, die man für wohl orientiert zu halten sich gewöhnt hat. Unter ihnen ragt der Freiherr v. Zedlitz und Nenkirch hervor, der Exseehandlnngspräsident und Vater des Widerstandes in der Mittellandkanalfrage, der sich zwar zurzeit nur auf ein Mandat zum preußischen Abgeordnetenhaus«: berufen kann, aber auch als Amateurreichspolitiker bekanntermaßen nicht ohne Einfluß ist. Auf die Auslassungen des freiherrlichen Autors einzugehen, liegt für uns nur aus einem Grunde Veranlassung vor. Und dieser Grund ist die doch recht bedeutsame Erscheinung, daß Frhr. v. Zedlitz, der Freikonservative, sich für direkte Reichssteuern ausspricht. Das ist ein Wandel in den Anschauungen, dem politische Bedeutung zugesprochen werden muß, wenn man sich des hartnäckigen Widerstandes erinnert, der von konservativer Seite bisher stets allen liberalen Anregungen auf Ausbau des direkten Neichssteuersystems entgegengesetzt worden ist. Nicht einmal vor einer Neichseinkommensteuer scheint der preußische Politiker zurückzuschrecken. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß dies Entgegenkommen der Besorgnis entspringt, der sogenannten Branntweinliebesgabe möchte sonst doch noch seliges Ende bereitet werden. Man denkt sich also wohl das Eingehen auf die liberalen Wünsche als Kompensation. Sollte vielleicht diese 60 ut ckns-Politik eine Frucht der Norderney-Gespräche sein? In Erwägung der tatsächlichen Verhältnisse ist es übrigens nicht recht verständlich, daß man die Sanierung der Reichsfinanzen noch um ein Jahr hinausznschieben gedenken sollte. Der Fehlbetrag, den wir schon vor etwa fünf Monaten auf 80 Millionen schätzten, ist durch dle inzwischen immer drängender gewordenen Flottenneuforderungen und die Gchaltsregulierungen auf mehr als 100 Millionen gestiegen. Und es ist bei dem hohen Diskont schwer möglich, auf dem Wege der An leihe diesen Bedarf zu decken, ohne ganz erhebliche Opfer zu bringen. Der Stand unserer Neichsanleihen spricht da doch eine zu deutliche Sprache. Es kommt hinzu, daß das nächste Jahr voraussichtlich eine wahre Hochflut von Anleihen bringen wird. Denn die hohen Diskont sätze haben die Staaten, Kommunen und anderen Verbände veranlaßt, ihre Anleibebedürfnisse vorläufig auf andere Weise zu befriedigen, dringende Arbeiten zurückzustellen, um billigere Zeiten abzuwarten. Auf diese hofft man aber immer noch vergebens. Es wäre also nicht ohne Grund, wenn die Rcichsbchörden sich vor neuen Anleihen scheuen sollten. Dann aber bliebe einfach nichts anderes übrig, als die neue Reichssinanzreform schon in diesem Sessionsabschnitt zu er ledigen. Neber die Möglichkeiten zur Befriedigung des Neichsbedarfs haben wir uns wiederholt ausgelassen und meinen auch heute noch, daß es bei Ergänzung der Neichserbschaftssteuer durch Ausdehnung der Steuer auf Deszendenten und Ehegatten bei großen Vermögen, bei Ein- sührung einer Neichseinkommensteuer für Einkommen von etwa 10 000.2 an, durch allmähliche Abschaffung der Branntwcinliebcsgabe gelingen müßte, ohne neue indirekte Steuern, insbesondere ohne die unzweifelhaft geplante Zigarrensteuer, auszukommen. Was die Zigarrensteuerpläne anbetrisft, so wissen wir, daß noch während der letzten Wochen der Tagung des Reichstages die Pourparlers mit den einzelnen Bundes staaten, in unverbindlicher Form, eingeleitet worden sind, wissen ferner, daß in Bundcsratskreisen die Stimmung für diele neue Steuer nickt ungünstig war. Tas ist so zu verstehen, daß eine große Anzahl Bundes staaten eine an sich begreifliche Abneigung gegen die Einführung einer Neichseinkommensteuer hat und mit der Zigarrensteuer um diese Kon kurrenz auf dem Gebiete der direkten Steuern hernmzukommen hofft. Es ist auch bemerkenswert, daß die Zentrumspolitiker anscheinend ernsthaft mit der Lösung der Neichsfinanzfrage in vem bevorstehenden Sessionsabschnitt rechnen. Sowohl Herr Spahn wie Herr Erzberger und die Tuntenhausener Zentrumsgrößen setzen eine neue Reichsfinanz reform als sicher voraus. Nun weiß man freilich, daß das Zentrum auf die Finanzfrage recht erhebliche Hoffnungen setzt. Wegen der von ihm erhofften und auch wirklich drohenden Gefährdung des Blockes. Aber der Zwang ist eben größer als die Scheu, dem Zentrum einen un beabsichtigten Gefallen zu tun. Im übrigen ist es gut, daß auch inner halb des Zentrums keine Klarheit und Einigkeit über die einzuschlagende Taktik herrscht. Während Herr Spahn und die Magnaten sich ab mühen, die Versöhnlichkeit des Zentrums und seine nationale Gesinnung zu demonstrieren, spielt Herr Erzberger immer noch )en unversöhnlichen Volkshelden, verschmäht dabei auch nicht, in Künsten ärgster Demagogie zu glänzen. Er stellt zum Beispiel die Behauptung auf, die sogenannte lox Trimborn, nämlich die Witwen- und Waisenversorgung aus den Zollüberschüssen, sei durch den Block gefährdet. Wobei er verschweigt, daß die Fondsansammlung für diesen Zweck überhaupt noch nicht bat in Funktion treten können, woran der Sündenolock wirklich unschuldig ist. Aber Herr Erzberger verhilft mit seinem Wüten den Blockelcmen- ten wie der Regierung zur besseren Einsicht dessen, was aus dem Spiele steht. Tas ist eine anerkennenswerte Leistung. Auch sein Schimpfen ist im gleichen Sinne wirkungsvoll. Denn wenn er dem Freisinn vor- wirft, er habe dem Fürsten Bülow in Norderney „die Hand geleckt", so vergißt er dabei, daß doch auch die Konservativen „die Buhfahrt" nach Norderney unternommen haben. Ter Ausdruck seiner Hochachtung vor der konservativen Mannhaftigkeit l>m Gegensatz zu der angeblichen Würdelosigkeit des Liberalismus) ist also doch zu deutlich eine Zweck übung und zu unlogisch, um die Konservativen zum Umfall auf die Seite des Zentrums zu veranlassen — wenn sic nicht aus anderen Gründen dazu geeignet sein sollten. Wo man heute anklopft, in Bundesratskreiscn wie bei anderen Reichsfunktionären, überall findet man die Auffassung, daß die inner- politische Lage unklar sei. Und gerade dieser letzte Punkt will uns gar nicht gefallen. Es ist schwer, sich zurecht zu finden und noch schwerer, wohlüberlegten Verdächtigungen der Reichspolitik entgcgenzutrcten, weil man nicht weiß, was die Regierung beabsichtigt. Die nächste Forderung ist deshalb: Klarheit. Einmal müsien auch di- Norderneyer Ferientaa» zu Ende gehen. DaS Reich fordert sein Recht.
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