28 Andre Salandi O Dresdner Stadtpolitik 1929-1933 1. Die Krise der Kommunalpolitik* »Am gestrigen Dienstag nach 14 Uhr marschierten mehrere nationalsozialistische SA- und SS-Abteilungen mit ihren Fahnen vor dem Portal des Neuen Rathauses am Rathausplatz auf. Auf der Rampe vor dem Rathaus hatten sich zahlreiche nationalsozialistische Mitglieder des Rates und der Stadtverordnetenfraktion Vertreter des Stahlhelms und der Deutschnatio nalen Volkspartei eingefunden. Eine große Menschenmenge umsäumte den Rathausplatz. 14.50 Uhr begab sich eine Fahnenabordnung zum Rathausportal [und] verhandelte mit dem Oberbürgermeister Dr. Külz. Um 15.30 Uhr erschien auf dem Balkon vor dem Festsaal ... Bürgermeister Dr. Bührer, Stadtverordnetenvorsteher Dr. Kluge und verschiedene Stadträte. Heute stehe man auf dem Balkon des Rathauses und ziehe die Hakenkreuzfahne auf. Der Oberbürgermeister Dr. Külz habe dagegen protestiert. Man habe den Protest zur Kenntnis genommen und gehe jetzt zu Tatsachen über.« 0 Schon lange bevor der spätere LDPD-Gründer Wilhelm Külz sich gegen den Einzug der Natio nalsozialisten in das Dresdner Rathaus wehrte, war die demokratische Selbstverwaltung der sächsischen Hauptstadt ohne wirklich ernsthaften Widerstand ausgehöhlt worden. Im Rahmen der Verfassung hatten die Demokraten wohl versucht, Ordnung im eigenen Rathaus zu bewah ren, aber die Leichtigkeit, mit der die Diktatur Einzug halten konnte, beweist, daß die demokra tische Selbstverwaltung zur Fassade geworden war. In Finanzfragen zeigten sich am deutlich sten die eng gesteckten Grenzen kommunaler Befugnisse: Die städtischen Haushalte der Jahre 1931 und 1932 wurden auf der Basis der Notverordnungen von Reich und Freistaat durch die Kreishauptmannschaft Dresden zwangsvollzogen. Im Jahre 1931 hatte der Stadtrat noch auf Finanzbeihilfen des Reiches gehofft, die jedoch nicht gewährt wurden. Im darauffolgenden Jahr lehnte das Stadtverordnetenkollegium den Haushaltsplan des Rates ab, obwohl er den Anforderungen der Reichs- bzw. Landesnotverordnungen entsprach. Die Parlamentarier wälzten damit die Verantwortung für Kürzungen von Sozialleistungen und Steuererhöhungen auf die Aufsichtsbehörde ab. So wie Reichskanzler Heinrich Brüning mit Rückendeckung des Reichspräsidenten von Hindenburg seit dem 29. März 1930 an dem Reichstag vorbeiregierte, so etwa stellte sich das Verhältnis von Kreishauptmannschaft, die als verlängerter Arm die Reichspolitik in der Stadt durchsetzte, und der städtischen Selbstverwal tung in den Jahren 1931/32 dar. Auch im Freistaat Sachsen regierte vergleichbar zur Regierung