64 Ingrid Kirsch o Die Wohlfahrtsarbeit in der Israelitischen Religionsgemeinde zu Dresden während der Weltwirtschaftskrise Die ökonomischen und sozialen Folgen der Weltwirtschaftskrise für die deutsche Bevölkerung betrafen natürlich auch die in Deutschland lebenden Juden und deren Religionsgemeinden, Vereine, Institutionen. Sowohl alteingesessene deutsche jüdische Familien als auch vor und nach dem Ersten Weltkrieg eingewanderte Juden erlebten nach den unmittelbaren Kriegsaus wirkungen, den Folgen der Inflation und Krise besonders im Jahre 1923 den dritten großen Angriff auf ihre Existenzgrundlagen und Lebensbedingungen innerhalb weniger Jahre. Entge gen den noch immer in der Öffentlichkeit existierenden Vorstellungen über die soziale Stel lung der Juden war ihr Anteil am großen Bank-, Industrie- und Handelskapital sehr gering, der Anteil an kleinbürgerlichen und proletarischen Schichten dagegen nahm zu, wobei die Hauptgruppe der Juden in Deutschland dem Mittelstand angehörte bzw. in freien akademi schen Berufen tätig war. Somit wurden die Juden entsprechend ihrer ökonomischen und damit auch sozialen Differenzierung wie alle anderen sozialen Gruppen in der Weimarer Republik von den Auswirkungen der Krise betroffen. Dabei waren die Konsequenzen für viele jüdische Familien infolge der versteckten judenfeindlichen Haltung bestimmter Kreise der Gesellschaft sowie des verstärkten offenen Antisemitismus häufig noch spürbarer (z. B. Boykotte bei Ein stellungen und Lehrstellenvergabe, Beförderungsstopp, schnellere Entlassung u.ä.). Die tradi tionelle Konzentration von Juden im Konsumgüterhandel (insbesondere Textilien), im Kredit wesen (meist kleiner Privatbanken), im an Handel gebundenen Handwerk und auch in Groß städten begünstigte diese Tendenz. Dieses für die jüdischen Bevölkerungsteile des Deutschen Reiches typische Bild findet sich im wesentlichen auch bei den zur Israelitischen Religionsgemeinde zu Dresden gehörenden Juden wieder. Die Gemeinde umfaßte laut Volkszählung von 1925 5491 Gemeindemitglie der. Sie war auf der Grundlage der Reichsverfassung von 1919 und der sächsischen Landes verfassung von 1920 eine Körperschaft des öffentlichen Rechts mit neuer Satzung (Januar 1923) und neuer Steuerordnung (Juni 1922). Seit Mai 1925 gab sie ein eigenes »Gemeinde blatt der Israelitischen Religionsgemeinde Dresden. Amtliches Organ des Gemeindevorstan-