5 Bogenreihen zu Granaten oder Kanonen geworden waren, lief man nicht schräg über die An lagen. Schmutz kam aus anderen Bereichen. Er kroch aus den Spalten der Zeitungen, quoll aus den vielen öffentlichen Lautsprechern, erschien greifbar in den Karikaturen des »Stür mers«, die wir in den öffentlichen Schaukästen betrachteten, noch ehe wir die Unterschrif ten oder Begleitartikel lesen konnten; er lebte in den Tiraden der Nazilehrer - wenige übri gens, denen ich begegnet bin. Später erst, in den Jahren der Dunkelheit, kamen auch Schutt und Scherben, Staub und Geröll, konnten auch wir den neunten Kreis der Hölle erleben, als die Stadt sechs Tage und sieben Nächte brannte. Über die Verführung durch die Schule und die Hitlerjugend findet sich kein Beitrag in die sem Heft - ein schmerzliches Desiderat. Denn sie prägten oft stärker als das Elternhaus. Waren die Nazilehrer gute Pädagogen oder gerissene Demagogen, konnte ihre Wirkung nachhaltig sein. »Auch an meiner Schule gibt es noch Juden. Ihr habt mit ihnen nichts zu schaffen.« So etwa 1937 der Rektor der 9. Volks- und Mittelschule am Georgplatz. Mit ihm besuchten wir die Ausstellung »Entartete Kunst« und durften abschreckende Filmsze nen sehen, die sonst erst ab 18 Jahren freigegeben waren. Irgendwann 1942 hielt er beim »Flaggenappell« am Samstag eine wüste Rede, weil einige Schüler bettelnden sowjetischen Kriegsgefangenen, die an der Johannstraße Gräben aushoben, etwas von ihren Frühstücks broten gegeben hatten. Ich war einer seiner Lieblingsschüler in Geschichte. Ich war nicht bei den getadelten Schülern. Ich könnte ihm noch heute nicht verzeihen. Nicht begreifbar, kaum beschreibbar ist jene dumpfe Atmosphäre aus Gleichgültigkeit, haus backener Zustimmung, blindem, dummem Parteioptimismus, aus Denunziantentum und Angst. Ist es wohl ein Zufall, daß die alte Residenz- und Beamtenstadt den höchsten pro zentualen Anteil an NSDAP-Mitgliedern im »Reich« hatte? - Dies alles prägte den Alltag der Kriegsjahre, hielt das Regime stabil. Von Verbrechen, die an den Juden, den tapferen Männern und Frauen, die sich zu widersetzen wagten, später an den Völkern im Osten be gangen wurden, wußte man wenig. Es konnte höchstens darüber geflüstert werden. Ahnungslos war dennoch wohl niemand. Da gab es zu viele Renommisten im Bekannten kreis, die sich offen oder verdeckt ihrer Untaten rühmten. Wenn man heimlich am Radio drehte, konnte man die Paukenschläge von BBC hören, mit denen die deutschen Sendun gen eingeleitet wurden. Auch Nachrichten aus Moskau wurden gelegentlich empfangen. - Hat man sie geglaubt? Hat man mit Freunden darüber nach der Schule gesprochen? Zu einem Widerstand hat es nicht geführt, kaum wohl zu Skepsis. Die Dresdner Garnison lernten wir als Hitlerjungen am »Tag der Wehrmacht« kennen. Die Älteren durften mit dem Karabiner und dem MG Platzpatronen verschießen. Die Unter offiziere gaben sich freundlich. Der »Dienst« im Jungvolk, später der Hitlerjugend gehörte mittwochs und samstags zum staatlichen Bildungsprogramm. Sonntags sah man oft in den »Prinzeß-Lichtspielen«, Prager Straße, patriotische Filme mit Otto Gebühr als Friedrich dem Großen oder Paul Jannings als Burenpräsidenten »Ohm Krüger«. Auf den Wiesen an Bismarcksäule und Moreaudenkmal wurde marschiert und gesungen. »In den Ostwind hebt die Fahnen, denn im Osten stehn sie gut« oder: »Hundertzehn Patronen umgeschnallt, scharf geladen das Gewehr, und dann die Handgranate in der Hand, Bolschewiki komm