19 Bis hinein zum wahren Kern, Schlachten so von fern zu schlagen, Feuerqual und Hungersnoth Ohne Sorgen zu ertragen Bei dem guten Abendbrot.” So mußte die „Abendzeitung”, die sich in bemerkenswerter Toleranz außersächsischen Beiträgern öffnete, für die Dresdner Literaturverhältnisse zum Zeugnis einer ruhenden Zeit werden, Träger ei ner Literatur der Lange-Weile, der gedehnten und unerfüllten Zeit. Dies hat in Dresden am ent schiedensten Ludwig Tieck ausgesprochen, der als eine literarische Großmacht zwischen 1819 und 1842 hier lebte und seit etwa 1824 zum Widersacher jener poetischen Kleinmeister wurde. Dazu kamen tiefe Aversionen gegen Winkler-Hell, nachdem Tieck 1825 Dramaturg des Hoftheaters ge worden war und die großen Werke der Weltliteratur auf die Bühne bringen wollte, die der ge schäftstüchtige und ökonomisch weit erfahrenere Winkler-Hell mit Unterhaltungsstücken möglichst eigener Produktion zu besetzen suchte.” 1835, als Tieck schon vom Theater fast verdrängt war, er schien seine große Abrechnung mit der Dresdner Hofratskultur, die romantisch-satirische Novelle „Die Vogelscheuche”: Man beschließt, eine Zeitung herauszugeben mit dem Ziel, „daß uns und un- sern Lesern nicht durch geniale Überraschung, hinreißende Darstellung, Redekunst und erhabne Rührung die kostbare Zeit und das Leben unter den Händen weggestohlen werde, sondern wir wer den uns redlich bemühen, statt zu verkürzen, den Zuschauern und Lesern die Stunden zu verlän gern, mit einem Wort, eine edle und rechtschaffene Langeweile zu erregen ... Nichts anmutiger, als bei einem Gedicht zu sitzen und in süßer Langeweile die Zeit recht auszukosten, Zeile mit Zeile und Minute mit Minute zu messen. I0) - Eine Literatur der Hofchaisen gleichsam, jener typisch Dresdner Form der privilegierten Fortbewegung, die auf den engen Kreis der Straßen und Plätze be schränkt ist. Auch die Zeit war in frömmelnder Beschränktheit erstarrt, und zwar im Salon Chri stoph August Tiedges und der Elisa von der Recke am Kohlmarkt, die seit 1819 ständig in Dres den lebten und einst zur aufklärerischen Empfindsamkeit gehörten. u) Hier, ebenso wie im „Lieder kreis”, zu dem man gute Beziehungen unterhielt, sah man eine Revolution nicht als Wende an, son dern begriff die sich rasch entschärfenden Ereignisse von 1830/31 als Ausdruck einer neuen Verbun denheit zwischen Volk und Monarch. Tiedge schrieb sogleich ein „Lied der Communalgarde”. In treuherziger, staatskonformer Gesinnung wird Kritik durch Vertrauen - die offizielle Losung von Ende September 1830 - ersetzt: „Hört wie auf den Flügeln der Lüfte Der Jubel die Straßen durchfliegt! Es haben die Stürme der Freude Die Stürme des Grolles besiegt! Wer kommt durch die Stürme der Freude So heiter und ernst? Es ist Er, Der würdige Sachsenfürst Friedrich, Der reitet so stattlich daher! Wir wollen dem Hohen vertrauen! Sein Fürstenwort bürgt unser Glück. Vertraun! Ja Vertraun gewinnt Liebe, Und Liebe gibt Liebe zurück.”