60 kommen, weil er als russischer Staats bürger mit inzwischen ungültigem Paß zwar im Ausland lebte, es aber nach russischem Gesetz seit 1834 keinen Emigrationsschein mehr gab. Genau das aber war die Vorausset zung, um die Staatsbürgerschaft und das Bleiberecht in einem deutschen Staat zu erlangen, wozu aber unter den damaligen Bedingungen der Reaktion weder Sachsen noch Braun schweig, geschweige denn das offi zielle russophile Preußen bereit waren. In einem Zustand der Ohn macht brach es in einem Hilferuf an Karl August Varnhagen von Ense am 31. Dezember 1830 aus Wolfsohn heraus: »Auf diese Weise bin ich verdammt, die historische Heimat losigkeit meines Stammes polizeilich in jeder Fiber nachzufühlen. [...] Könnten Sie mir vielleicht in diesem Labyrinth einen Faden in die Hand geben, mit dem meine bürgerliche Anknüpfung an Deutschland mög- Wilhelm Wolfsohn, Foto um 1860 li c h wäre, auch ohne den russischen Emigrationsschein?« 21 Aber auch der einflußreiche Varnhagen wußte wohl keinen Weg, so daß Wolfsohn neben den notwendigen Vortragsreisen zum Broterwerb und der Suche nach Verlegern für seine Werke in verschiedenen deutschen Kleinstaaten um den Bürgerstatus nachsuchte. Nur das kleine Fürstentum Anhalt- Dessau, in dem offensichtlich noch die humanistischen Traditionen eines »Vater Franz«, des Fürsten Leopold III. Friedrich Franz, lebendig waren, verlieh Wolfsohn schließlich ohne Emi grationsschein die Bürgerrechte und nahm ihn in die Stadtgemeinde auf. Erinnern wir uns: in Dessau wurde 1729 Moses Mendelssohn geboren; hier ließ sich der seit 1793 in Dresden an sässige russische Humanist Nikolai Putjatin mit seiner Familie ein Mausoleum errichten. Am 31. Dezember 1851 konnte die Eheschließung Wolfsohns nach jüdischem Ritus endlich er folgen. Aber Wolfsohn zog es aus dem provinziellen Dessau in die Großstadt Dresden, wo er sich grö ßere Entfaltungsmöglichkeiten für sein literarisches und wissenschaftliches Talent erhoffte: »Hoftheater und höfische Sitte, schriftstellerisches und künstlerisches Leben, vor allem interna tionaler Verkehr - das war das, worin er Befriedigung fand«, schrieb Theodor Fontane später. 3 *