Zeichnung von kurt Halter kabisdi A ber, liebe Gnädige, haben Sie denn gar keine Angst, wenn Sie so ganz allein Ihre langen Spaziergänge machen? — Ich war schon ganz besorgt um Sie. Kommen Sie, setzen Sie sich in diesen bequemen Stuhl, ich bringe Ihnen noch einen Schemel Und darf ich Ihnen Gesellschaft leisten?“ Die junge Frau mit den ernsten Augen lächelte den alten Herrn freundlich an: „Natürlich, gerne. Nein, ich könnte nicht sagen, daß ich Angst habe bei meinen stundenlangen Wanderungen. Ich denke wohl an keine Gefahr, weder wenn ich in Wäldern und auf Bergwiesen niemanden sehe, noch wenn mir plötzlich ein Mensch entgegenkommt. Ich bin schon als ganz junges Ding allein gereist; ich habe ganz allein große Wohnungen bewohnt, deren Räume ich beleuchtete und abging, wenn ich nachts nach Hause kam — ganz ohne Herzklopfen. Im Kriege habe ich in einer Stadt gelebt, wo fast jede Nacht Flieger uns in die Keller trieben, ich empfand eigent lich nur die Unbequemlichkeit. Ich habe vor kurzem ein Erdbeben erlebt — es war nur ein Erdstoß, dem nichts Schlimmeres folgte — mitten in einer Opernvorstellung; viele Leute stürzten aus dem Parkett, die Dame in der Loge neben mir wurde kreide weiß; ich blieb ganz ruhig — in solchen Augenblicken macht man sich doch nichts vor. Angst? Offenbar erschreckt es mich nicht, mein Leben plötzlich zu beenden; ich habe nur den Wunsch, vorher nicht sehr viel leiden zu müssen. Und doch: ein einzigesmal habe ich gefürchtet, habe ich ein so irrsinniges Angstgefühl empfunden, daß ich heute noch Herzklopfen bekomme, wenn ich daran denke: — Das war in einer Zeit, als ich an einem geliebten Manne die schwerste Ent täuschung erlebte. Das sagt sich so ein- 47