VON ULRICH VON l/ECHTRITZ Illustriert von Kurt Gundermann Sagt nicht, daß ihr das Leben kennt, ihr Menschen, wenn ihr den Tag wibt in all seiner gleißenden Helligkeit — sagt nicht, daß ihr das Leben kennt, wenn die Dunkelheiten der Nächte, die ihr durchtanzt durchwacht durchweint, offen vor euch liegen. Sagt nicht, daß ihr das Leben kennt, ihr Menschen, wenn ihr jene kurze Stunde nicht kennt „zwischen Nacht und Morgengrauen“, jene Stunde, die unwägbar ist und zeitlos, in der die Halbheiten des Lebens geboren weiden, die halben Töne, die in der Tonleiter des Lebens rätselvoll mitschwirren. Sagt nicht, daß ihr die Menschen kennt und Dinge, wenn ihr die halben Töne nicht vernehmt, die zwischen allen Zeilen schwingen, wenn ihr das Unwägbare nicht erkennt, das tief am Boden mancher Seele hockt und manch mal nur herauftaucht aus dem dunklen, rätselvollen Grunde für eine kurze Dämmerungszeit, um rätselvoll und dunkel wieder zu versinken; grad’ wie die Stunde „zwischen Nacht und Morgengrauen“, wenn sinnlos fast die Nacht noch eine dunkle Schale in den ;ungen Morgen gießt, und wenn der Tag, noch ehe er geboren, schon eine graue Perle irisierend der müd’ gewordenen Nacht entgegenhält. In jener Stunde winden sich die Straßen noch wie tote, dunkle Kanäle, nur die roten Feuermelder an den Ecken flüstern vom Leben, das in elektrischen 48