Er war auch ein häufiger Gast in der Garküche von Madame Rosalie, einer Italienerin, die über sein Kommen stets begeistert war und sich eifrig in ihrer Muttersprache mit ihm unterhielt. Als Entgelt für manches Maccaronigericht hat er ihr die Wände des Kellers mit Fresken bemalt, die nach seinem Tode ein deutscher Kunsthistoriker mit dem Mörtel herunternahm und entführte. Manchmal war er am Verhungern. Seine Augen flackerten unruhig, seine Laune verließ ihn. Mit einem bitteren Leidenszug um den Mund eilte er die Boulevards entlang auf der Suche nach Rettung. Es war schwer, ihm zu helfen. Verbissen und stolz, konnte er nicht die Demütigung vergessen, die der Mangel ihm auferlegte. Er war generös. Er teilte mit Fremden. Er gab allen von dem wenigen Geld, mit dem er sich reich fühlte. Seinen Freunden deklamierte er die Terzen der Divina Comedia. Er wußte sie auswendig. In einer Ecke seines Ateliers lagen Bücher: Petrarca, Ronsard, Baudelaire, Mallarme, Spinoza, Bergson. Er kannte sie alle. Fetzen von Büchern trug er in der Tasche. Er hatte die Gewohnheit, Bücher, des bequemeren Tragens halber, auseinander zu reißen. So erging es dem Erstlingswerk von Claudel, „L’arbre“, welches damals im Mercure de France erschien. Stets trug er Teile des Tete d’or in der Tasche und teilte seine Begeisterung mit jedem, den er traf, indem er die schönen Dialoge vorlas zwischen den Kutschern in der Bar de la Rotonde, auf den Bänken des Luxembourg-Gartens und nachts unter den Laternen des Boul-mich. Die Begeisterung verflog aber, der Intensität entsprechend, rasch. Ich war überrascht und enttäuscht. Damals war ich sehr jung. Was er liebte, zerstörte er. So erging es den Frauen, die in seine Hände ge rieten. Ein Erlebnis mit Mo digliani war nicht gerade be quem. Aber in solchen Tagen und Nächten entstanden dicke Packen 'herrlichster Zeichnun gen, die Gestalt der Frau in vielen Variationen mit rascher sicherer Kontur hingesetzt. Das war seine Meisterschaft. C f Nach den zwei Jahren, die ich D. / ihn kannte, lebte er noch zehn J Jahre. In einer Januarnacht des . — Jahres 1920 schaffte man den ' klI unglücklichen Mann von einer Bank des Montparnasse ins höpital de la Charite. Dort starb er. Seine letzte Freundin, Bank des Montp: Matisse eine englische Dichterin, folg te ihm freiwillig in den Tod. Sie krönte sein Leben, denn sie war überzeugt, eine Ewigkeit mit Modigliani vereint zu werden. 390