94 Hellmuth Christian Wolff intervallen der angrenzenden Achtel. Ein regelrecht in allen Stimmen auftretender 9 / 8 -Takt ist in dieser Fuge nur selten anzutreffen (so im 3. Takt; im 8. Takt hat ihn nur der Baß). Die rhythmische Gesamt bewegung bevorzugt fast durchweg andere Gliederungen x ). Allein in der harmonischen Anlage wird die vorgezeichnete 9 / 8 -Gliederung wenigstens von Takt zu Takt offenbar: Takt 1: T 2: D-g> 3: D-D 1 « 4: T—S 5: D- iP 6:D-Tp « 7: ff-D 7 8: T-D 7 9: T. In dieser Fuge durchdringen sich also zwei gegensätzliche Glie derungsordnungen, die eine inTriolen (im Rahmen des 9 / 8 -Taktes), die andere in einer 2 / 8 ( 4 / 8 )-Bewegung, und zwar in durchaus wechselnder Weise. Es ist hier bei Bach eine ähnliche Erscheinung zu beobachten wie bei gewissen Grundrissen barocker Bauwerke, in denen sich zwei gegensätzliche Gliederungsformen durchdringen, etwa bei dem italieni schen Architekten Francesco Borromini (z. B. in der Kirche S. Carlo zu Rom) 2 ) oder dem deutschen Balthasar Neumann (Vierzehnheiligen!). Einen deutschen Ausdruck erhält diese planvolle «Verwirrung" dadurch, daß sie in einer gesteigerten Form geschieht, in der die übersichtliche Klarheit aufgegeben ist, die der italienische Barockstil bei alledem immer noch beizubehalten pflegt 3 ). Im Thema der //s-moll-Fuge (W.K1. II) betont Bach hauptsächlich die schwachen Taktzeichen: Da im Verlauf der Durchführungen (etwa von Takt 16 ab) neue Motive auftreten, durch welche die «guten« Taktteile betont erscheinen, z. B. im Baß: *) Hugo Riemann erkannte diese nicht, er wollte in dieser Fuge nur einen Wechsel von 6 / 8 und 9 / 8 sehen (Katechismus, S. 131 ff.). 2 ) Vgl. Eberhard Hempel: Francesco Borromini. Wien 1924. 3) Vgl. hierzu die Gegenüberstellung des italienischen und deutschen Barockstils, die ich für die Musik der Barockopern in meinem (noch nicht erschienenen) Buch über die Hamburger Barockoper vorgenommen habe.