104 Hellmuth Christian Wolff bekannt. Bach pflegte solche Verzierungen wie auch die Schlußkadenzen auszuschreiben, wie das z. B. in den Violinsolo-Sonaten oder in manchen Orgelfugen der Fall ist. Während die Präludien und Fugen des Wohltemperierten Klaviers bei allen rhythmischen Freiheiten doch ein gewisses Gleichgewicht, eine gewisse Symmetrie aufweisen, verschwindet diese in den Orgelfugen zugunsten freierer Anlage 1 ). Die Fugenthemen des Wohltemperierten Klaviers zeigen freilich eine größere individuelle Ausdruckskraft als die der Orgelfugen, in denen infolge der größeren Schwerfälligkeit des In struments und wohl auch infolge der kirchlichen Bindung die Themen gestalt nicht so stark individualisiert erscheint. Während Händels Fugen themen meist gesanglich, „wortgezeugt" sind 2 ), entspringen siebei Bach immer ganz dem Instrument. Dies mag auch die Ursache dafür sein, daß Bachs Fugenthemen rhythmisch viel stärker differenziert sind als die Händels. Bevor im folgenden eine Reihe Bachscher Orgelwerke auf ihre rhyth mische Anlage hin untersucht wird, ist die Dissertation von Günther Langer zu erwähnen, der sich vor kurzem mit ähnlichen Fragen aus einandersetzte 3 ). Da Langer unter Rhythmus in ganz allgemeiner Weise „die Auswirkung einer übergreifenden Weise geordneter, gegliederter Bewegtheit", d.h. vor allemein Bewegungserlebnis sieht und sich mehr auf Erlebnis des Gefühls als auf deutliche Nachweisbarkeit beruft, be halten seine Erlebnisse eine gewisse Undeutlichkeit 4 ). Langer versucht für die verschiedenen Schaffenszeiten Bachs bestimmte rhythmische Stil merkmale nachzuweisen: die frühen Orgelwerke hätten noch eine „block rhythmische" Bauweise, wie bei den älteren deutschen Orgelkomponisten vor Bach, in Weimar habe Bach den „stetigen Fluß" und das „gleich mäßige Schlagen der Schwerpunkte" erreicht. Seit den in Cöthen ge schaffenen Orgelwerken habe Bach den „ Betontheitscharakter der Schwer punkte" mehr und mehr zugunsten der linearen Formung preisgegeben. In den in Leipzig entstandenen Spätwerken weiche „die äußere Betont- heit" einer „stilleren Gliederungsweise“, welche auf ein „letztes Aus gewogensein in der Formgebung“ abziele. Gegenüber den Schlußstau ungen der frühen Orgelwerke habe Bach später „stille Schlußlösungen“ geschaffen 5 ). Leider setzt sich Langer überhaupt nicht mit den verschie denen Ansichten über die Entstehungszeit der Bachschen Orgelwerke J ) Hierauf weist Müller-Blattau, S. 95, hin. 2 ) Vgl. Friedrich Chrysander, G. Fr. Händel, 3. Bd., S. 201 ff. 3) Die Rhythmik der J. S. Bachschen Präludien und Fugen für die Orgel. Ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte des Bachschen Personalstils. Diss., Leipzig 1937. 4 ) Vgl. meine Besprechung im Archiv für Sprach- und Stimmphysiologie, 1941, S. 188. 5 ) Langer, S. 78.