Die Teilung des Bachschen Musikaliennachlasses und die Thomana-Stimmen Von Andreas Glöckner (Leipzig) Die Teilung des Bachschen Musikaliennachlasses hat die Forschung bis in die jüngste Zeit beschäftigt, ohne daß es möglich gewesen wäre, zu eindeutigen und annähernd vollständigen Befunden zu gelangen. Wegen unzureichender Quel lenaussagen waren Erkenntnisse bisher nur auf indirektem Wege zu gewinnen, und die einzelnen Mosaiksteine, die sich heute zusammenfügen lassen, ergeben noch immer kein abgerundetes und in sich stimmiges Bild von der Verfahrens weise, mit der die Musikalien aus Bachs Nachlaß unter den Erben aufgeteilt wurden. Erst in neuerer Zeit wurde der Quellenwert der Titelumschläge in den Bachschen Aufführungsmaterialien für die Bach-Überlieferung erkannt. Bei Quellenstu dien für das Bach Compendium haben Hans-Joachim Schulze und Christoph Wolff festgestellt, daß viele dieser Umschlagbögen offensichtlich erst um 1750 angefertigt wurden, 1 und demzufolge in unmittelbarem Zusammenhang mit der Erbteilung nach Bachs Tod stehen dürften. Das betrifft einerseits eine Vielzahl der Titelumschläge von der Hand Carl Philipp Emanuel Bachs und andererseits die Titelumschläge zu den Originalstimmen des Choralkantatenjahrgangs, den sogenannten Thomana-Stimmen. Die folgenden Ausführungen sollen sich vor allem dieser Frage widmen und versuchen, sie wegen ihrer besonderen Relevanz für die Erbteilung und der damit im Zusammenhang stehenden Bach-Überliefe rung zu klären. Widmen wir uns zunächst den Thomana-Stimmen (im laufenden Text auch als St Thom abgekürzt). Hinsichtlich der Frage, zu welchem Zeitpunkt deren Umschläge entstanden sind beziehungsweise in welcher Weise und in welchem Zusammenhang sie angefertigt wurden, ergeben sich bei näherer Betrachtung nur die folgenden zwei Alternativen: 1. Die Titelumschläge wurden zu einem nicht genau feststellbaren Zeitpunkt nach Bachs Tod angefertigt. Die Stimmensätze befanden sich jedoch bereits im Besitz der Thomasschule. Die Angaben zu Titel und Besetzung der jeweiligen Kantate entnahmen die Schreiber ausschließlich den vorhandenen Stimmen; andere Quellen waren zu diesem Zeitpunkt nicht mehr verfügbar. 2. Die Titelumschläge entstanden bald nach Bachs Tod und in unmittelbarem Zusammenhang mit der Erbteilung. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich die Stimmensätze noch nicht im Besitz der Thomasschule. Als Kopiervorlage benutzten die Schreiber in fast allen Fällen die originalen, von Bach oder seinen Kopisten beschrifteten Titelumschläge. Die erstgenannte These läßt sich relativ leicht widerlegen und ist vor allem aufgrund folgender Beobachtung unwahrscheinlich: Nicht selten divergiert die i BC, passim.