BEILAGE ZU NR. 4 DER »TYPOGRAPHISCHEN MITTEILUNGEN« Fachmitteilungen für die deutschen Korrektoren Herausgegeben von der Zentralkommission der Korrektoren Deutschlands Vorsitzender: Artur Grams, Berlin C 54, Gipsstraße 12, III rechts. Verantwortlicher Schriftleiter: Friedrich Oberüber, Berlin-Neukölln, Bergstraße 76/77, III April 1924 * Sechzehnter Jahrgang * Nummer 4 Gedanken über Sprache und Rechtschreibung Mit vielem Interesse lese ich — was übrigens jeder Kollege tun müßte — stets die »Technischen Mitteilungen« der Korrektoren. Schon manches Wissenswerte habe ich ihnen entnommen, doch fand anderseits manche darin vertretene Meinung nicht meine Zustimmung, nicht selten sogar Widerspruch. Zahlreiche befragte Kollegen, darunter auch Korrektoren, teilten in solchen Fällen in der jeweiligen Frage meine Anschauung, und da meines Erachtens ein entsprechender Meinungs austausch nur nutzbringend sein kann, mag dieser hier einmal aufgenommen werden. Für jeden Buchdrucker ist Dudens Rechtschreibung für die Buchdruckereien fast ein Evangelium geworden. Wenn man nun auch die Verdienste, die sich der ver storbene Geheimrat Duden sowohl wie auch sein Mitarbeiter, der gleichfalls ver storbene Kollege Reinecke, um die deutsche Rechtschreibung erwarben, hoch an erkennen muß, so ist ihr Werk doch nicht ohne Mängel geblieben; einmal nicht, weil eine solche Materie in doch immerhin verhältnismäßig kurzer Zeit nicht restlos bewältigt werden konnte, bei den schwankenden Anschauungen und neu auftauchen den Begriffen auch nie restlos bewältigt werden wird, dann aber vor allem, weil meines Erachtens die genannten Verfasser hei der Schaffung ihres Werkes und auch bei den Neuauflagen nicht mit genügend scharfer Hand zugepackt haben, um ihr Buch zu dem zu machen, was es doch wohl eigentlich letzten Endes sein müßte: ein RegeZbuch der deutschen Sprache, ein Werk, das der deutschen Sprache ein Ge füge gibt, dessen feststehende Regeln auch dem nur mit Volksschulbildung aus gestatteten Deutschen gestatten, sich seiner Muttersprache zu bedienen, ohne sich der Gefahr auszusetzen, durch mangelhafte Beherrschung zahlloser Komplikationen — deren Beseitigung möglich sein müßte — lächerlich zu wirken. Statt dessen werden von Duden und seinen offiziellen und inoffiziellen Mitarbeitern fortgesetzt Ausnahmen von den Regeln zugelassen und meist mit wenig stichhaltigen Gründen motiviert. Um ein Beispiel herauszugreifen: Für die von Kottbus (Stadt in der Niederlausitz) abgeleitete Kottbusser Straße verlangt Duden das ss. Er begründet diese Schreibweise mit dem »Sprachgebrauch«. Dieser ist jedoch so stark vom Dialekt abhängig, daß er wohl kaum die Basis für eine Regel der »Rechtschrei bung bilden kann. Man denke nur daran, wie dann der Münchener sein München, der Stuttgarter sein Stuttgart schreiben müßte. Wollte man den Sprachgebrauch entscheiden lassen, müßte man den Jüterboger Schießplatz mit ck schreiben, denn man wird wohl kaum je eine andere Bezeichnung als Jüterbocker Schießplatz gehört haben. Daß eine so schwach begründete Abweichung von der Regel nur neue Komplikationen hervorruft und somit zur Fehlerquelle wird, braucht kaum gesagt zu werden. Auf den gleichen hier kurz gestreiften Pfaden wandelt meines Erachtens der Kollege F. O. in der Oktober-Nummer (1923) der genannten Mitteilungen, in der er