EINLAGE ZU N R. 6 DER »TYPOGRAPHISCHEN MITTEILUNGEN Fachmitteilungen für die deutschen Korrektoren Herausgegeben von der Zentralkommission der Korrektoren Deutschlands Vorsitzender: Artur Grams, Berlin C 54, Gipsstraße 12, III rechts. Verantwortlicher Schriftleiter: Friedrich Oberüber, Berlin-Neukölln, Bergstraße 76,77, III Juni 1924 * Sechzehnter Jahrgang * Nummer 6 Zu denGedanken über Sprache und Rechtschreibung ii. Recht hoch stellt Kollege O. M. seine Ansprüche, wenn er verlangt, der Duden müßte ein Regelbuch der deutschen Sprache sein, ein Werk, das der deutschen Sprache ein Gefüge gibt. Wenn ich M. richtig verstehe, soll der Duden also eine vollständige, auf alle Fragen Auskunft gebende deutsche Grammatik ersetzen. Diesen Ehrgeiz hat allerdings Geheimrat Duden mit seinem Buche nie gehabt, und auch seinen Mit arbeitern ist ein solcher Gedanke nicht gekommen. Der Duden will, wie schon sein Titel besagt, die Rechtschreibung der deutschen Sprache bieten; eine Sprachlehre soll das Buch nicht sein. Wollte es dieses ausgiebige Gebiet mit derselben Gründlich keit behandeln wie die Rechtschreibung, so würde das Buch mindestens das Doppelte seines jetzigen Umfanges annehmen müssen. Dazu kommt, daß gerade bei der deutschen Sprachlehre noch vieles umstritten ist und die besten Bücher dieser Art entweder in weitherziger Weise Öfters verschiedenen Auffassungen und Anwen dungen Raum geben oder, wo sie nur eine Ausdrucksmöglichkeit als »richtig« zu lassen, einander in gar nicht so seltenen Fällen geradezu widersprechen. Ich sage hiermit durchaus nichts Neues, sondern jedem Korrektor mit längerer Tätigkeit in seinem Fache, der sich von Berufs wegen mit diesen Dingen beschäftigen muß, ist das bekannt. Duden hatte übrigens von keiner irgendwie maßgebenden Stelle den Auftrag, neben seiner Lebensaufgabe, die der Förderung und Pflege der Recht schreibung galt, auch noch als »Sprachpapst« zu walten — er würde übrigens diese Aufgabe auch dankend abgelehnt haben. Und zwar hauptsächlich aus zwei Gründen: erstens, weil ihm die Schwierigkeiten wie nur einem sehr wohl bekannt waren, und zweitens, weil er unsrer Sprache ihre reiche Ausdrucksmöglichkeit und Entwick lungsfähigkeit nicht beschneiden wollte, im Gegenteil sogar für Erhaltung ihrer begründeten Eigentümlichkeiten eintrat, wie gerade Dudens Ausführungen zeigen, die das Mißfallen des Kollegen M. erregt haben. Nun hat Duden allerdings, weil es von den Buchdruckern, und gerade auch von den Korrektoren, gewünscht wurde, einiges aus den umstrittenen Gebieten der deutschen Sprachlehre in sein Buch aufgenommen, ist aber mit diesem wenigen schon auf Widerstand gestoßen. So bevorzugt Duden in seinem Wörterverzeichnis die ungebogene Form beim Mehrzahl-Wesfall der als Hauptwörter gebrauchten Eigenschaftswörter und Mittelwörter, wenn diesen Wörtern noch ein Eigenschafts wort vorangeht; bei dem Wort »Abgeordnete« ist zu lesen: »die Reden hervor ragender Abgeordneten (besser als: ... Abgeordneter)«, und bei dem Wort »Beamte« steht: »Verein technischer Beamten; vgl. Abgeordnete«. In der »Zeitschrift des Deutschen Sprachvereins« (Nr. 10 12 vom 27. Dezember 1923, Spalte 134) lautet jedoch die Auskunft auf eine Anfrage: »Berufsverein höherer Verwaltungsbeamfer ist der Form -beamten vorzuziehen«; also das gerade Gegenteil von dem, was Duden