02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.12.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-12-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- Public Domain Mark 1.0
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18991204028
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- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899120402
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- LDP: Zeitungen
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-12
- Tag1899-12-04
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Selbst die Organe der äußersten bürger lichen Linken zeigen, daß ihre Anglophilie nicht mehr die Probe einer echt englischen Leistung besteht. Sie wenden dem kirrenden politischen Geschäftsmann ein steinerne» Ge sicht zu, und mehr als das: auch bei ihnen findet man die Nothwendigkeit in den Vordergrund gestellt, bei der Gestaltung der deutschen Beziehungen zu England die continentalen Verhält nisse und insbesondere Rußlandin Betracht zu ziehen. Von dem allgemeinen Rufe: .Spiegelberg, ich kenne dich!", der auS der ganzen deutschen Presse tönt, nimmt sich nur die socialdemo kratische Presse oder wenigstens der „Vorwärts" auS, und wenn die Engländer selbst noch etwas zu lernen haben sollten, können sie sich diesen sympathischen Widerhall auf» Haben schreiben. Der „Vorwärts" schmiedet auS der Rede Chamber- lain's eine Waffe gegen die — Flotteoverstärkung. „Haben wir", so schreibt er, „Freundschaft mit England, so ist der Staat mit der stärksten Laodarmee mit der größten Seemacht liirt, so ist die Minderung, welche der veulsch-österreichisch-italienische Dreibund in den letzten Jahre» erfubr, durch die Verbesserung des Verhältnisses zu England mehr als ausgeglichen —, so bat selbst der principielle Vertreter der heutigen Kricasrüstungspolitik den Schein deS Vor wandes für neue deulscheMarineforderungen verloren." Wenn die Engländer über diesen Satz Freude empfinden, so soll ihnen daS gegönnt sein. Sie brauchen nicht zu wissen, daß die deutsche Socialdemokratie mit einem selbst bei den Führer» dieser Partei nicht alltäglichen CyniSmuS sich der Lüge beschul digt, indem sie heute die deutsche Armee durch ihr Organ die stärkste Landarm«« nenot. Vor wenigen Tagen noch uod seit dem Ausbruche de- südafrikanischen Kriege» fast täglich be hauptet und „beweist" der„VorwärtS",er habe kürzlich darauf hin gewiesen, die deutsche Landarmee stehe der englischen hei Weitem nach. DeS Weiteren diene den „Times" zur Nach richt, daß derselbe „Vorwärts" gleichzeitig mit der An erkennung eines Bedürfnisses, für den „geminderten" Drei bund einen Ersatz zu schaffen, aus den von dem Blatte unbestrittenen Bemerkungen deS Grafen Goluchowski über die Festigkeit eben dieses Dreibundes ebenfalls auf die Ueberflüssigkeit einer deutschen Flottenverstärkung schließt. Vielleicht erkält Herr Liebknecht jetzt den schon längst verdienten englischen Orden;für andere deutscheZeitungSschreiber wirb man sich aber in London nicht in Unkosten zu stürzen haben. Die Absage an Herrn Chamberlain ist, wie gesagt, eine allgemeine; die Dummheit, die verkennen könnte, daß bei einer englisch-amerikanisch-deutschen „Verständigung" die zwei „angelsächsischen" Mächte im Falle eines festländischen ConflicteS weit vom russisch-französischen Schüsse wären, gedeiht nicht mehr auf deutschem Boden, wie die Phantasterei, die eS für möglich und sogar für daS Wahrscheinlichste hält, daß der Versuch, die Revanche für Sedan zu nehmen, — an der Nordgreoze IadienS gemacht werden würde. Im Uebrigen kann Herr Chamberlain zu dem vom deutschen Volke geholten Korbe den weiteren Mißerfolg hinzulegen, daß man, obwohl sich, wie namentlich di« r a ssis che Preffe hervorz»heb«n nicht unterläßt, der britische Eolonialsekrerär beträchtliche Ungezogenheiten gegen Frank reich erlaubt hat, in diesem Lande sich sehr wenig über die Verlautbarung von Leicester ärgert. Noch weniger, daß man sich dort darüber beunruhigt zeigt. Der Zweibuad hat auch gar keinen Grund, Gruppirungen oder Eventualitäten, wie sie Herr Cbamherlain an die Wand gemalt bat, zu fürchten. Für un» Deutsche bleibt jedenfalls die „VerständigungS"-Reve ein ernste- Ereigniß. Sicher hat der englische Staatsmann mehr gesagt, als er —auch seinem Lande gegenüber — verantworten kann, uod e- muß noch nicht nothwendig Mißtrauen erregen, wenn die Osficiösen deS deutschen Auswärtigen Amte- von lediglich colo nialen Verständigungen, „von einigen Abkommen localer Natur* reden. Immerhin: was heißt in diesem Falle „colonial" und „local* und welche- sind die „einigen Abkommen* insbesondere, wie sind sie beschaffen? Die gleich uns von der „Kreuzztg.* sofort erhobene Forderung nach wirklicher Auf klärung bleibt zu Recht bestehen, sie wird allerdings nicht erfüllt werden. Graf von Bülow wird im Reichstage seine bekannten Bonbons herumreichen, und wer sie nicht süß findet, dem wird nicht geholfen werden. Mag aber auch wirklich gar nicht- „Vereinbartes" zu beklagen sein, so zeigt di« Rede Chamberlain'S doch, was man während der Anwesenheit de- Kaisers auf englischem Boden versucht hat, und zeigt dieselbe Rede im Verein mit der wunderbar gleich zeitigen Kundgebung deS amerikanischen Botschafter- Choate, daß man auf beiden angelsächsischen Seiten noch immer hofft, in der voll Chamberlain bezeichneten Richtung endlich zum Hiele zu kommen. Entweder hat die Rede von Leicester doch einen soliden Untergrund, oder die deutschen Gäste der Königin von England sind dort ungeheuer mißver standen worden. Die im heutigen Morgenblatte mitgetbeilte Auslassung der „Berl. Polit. Nachr.", di« in auffälliger Weise den Staatssekretär Grafen PosadowSky gegen den Verdacht in Schutz nimmt, er sei ein Gegner der Aufhebung d es Berbindung-verbote- der Vereine und habe sich als solchen in der ReichStagSsitzunH vom 20. November bekennen wollen, ist ohne Zweifel inspinrt. Um aber ihre Tragweite ermessen zu können, müßte man wissen, wer der Inspirator ist. Die „Nordd. Allgem. Ztg." hat den Artikel nicht ausgenommen. Sollten wieder einmal Mißbelligkeiten entstanden sei»? Möglich ist da- immer und Mancher glaubt daran schon seit Freitag, an welchem Tage die „Münchener Reuest. Nachr." einen unerhört wilden Vorstoß gegen Herrn P. Miquel unternahmen. DaS Blatt schrieb — sehr zu Unrecht — das Scheitern der Canalvorlage der „Lässigkeit" und dem „doppelhändigen Spiele" de- preußischen Finanzministers zu, um dann fortzufahren: „Auch bei der Flottenvorlage gewinnt e» den Anschein, als ob er feine Aufgabe darin erblicke, jetzt, wo er daS Ziel seines politischen Ehrgeizes sich eutrückt sieht, nichts mehr von großen nationalen Sotwürfrn zu Stande komme» zu lassen. Deo» leicht fertiger, wie die» gerade dir vou Herr» v. Miquel inspirirte und ihm ergebene Presse unterainnat, kann man füglich de» leiden schaftlichsten Widerstaad de» LeatrumS gegen di« Flottenvorlage nicht entfesseln. Sollte jedoch dies« nationale Forderung dasselbe Schicksal erleiden, wie eS einst von Herr» v. Miquel über die Canalvorlage heraufbeschworen wurde, so dürfte auch der preußische Fiuaa-miaister und Bicepräsideut deS Staats» Ministeriums die Schlußrechnung seiner miuistrriellen Laufbah» vor- zulegen haben." Dieser Angriff kann nicht von einem unbefangenen Publicisten auSgeben. Der Vorwurf verruchtester Pflicht widrigkeit gegen Herrn v. Miquel wird ausschließlich durch die Haltung einer ihm „ergebenen" Preffe in der Flotten vorlage (Vorschlag der Erhöhung der Gctreidezölle u. dzl.) begründet. Zeder mit den Preßverbältnifsen Vertraute weiß aber und muß wissen, daß jene „Preffe" — gemeint ist ein einziger Journalist — in erster Reihe auf die Befehle Anderer als des Finanzministers zu hören bat und daß sie diesen, der lange nicht zu bieten vermag, waS jene an Entgelt leisten, nur im Nebenamte bedient. Dir richtig ge kennzeichneten flottenschädlichen Vorschläge des gemeinten Journalisten sind sicher nicht auf Herrn v. Miquel zurück- zusühren, der allerdings besser thäte, einen ihm ausschließlich zur Verfügung stehenden Boten zu miethen, anstatt sich von einer Äufwärterin journalistisch bedienen zu lassen. Der Socialist Fourniöre setzte am Donnerstag in der französischen Kammer seine Anklagerede gegen die Klöster vom Guten Hirten fort. Sie waren, führte er au», bisher der Staatsaufsicht gänzlich entzogen, Niemand konnte in ihre ArbeitSsäle eindringen. Man lehre die Kinder, daß sie den Himmel durch Leiden verdienen müßten, und wenn sie in» Leben KinauSträten, hätten sie nichts gelernt. In den Anstalten würden übrigens auch Proselyten gemacht. Man verfolge nickt nur geistliche,sondern auch materielle Interessen, und wenn ein Bischof die Scandale zur Anzeige bringe, so gebe Rom dem Bischof,'Un recht und den Klöstern Reckt, weil letztere reich und mächtig seien. So blieben daS Schulgesetz und das Gesetz über Kinderarbeiten für 40 000 Kinder nur ein todter Buchstabe. Fourniöre forderte strenge Untersuchung. Der Radicale Laferre führte auS: „Als ich von dem Brief deS Bischofs Turiuaz Keuntniß erhielt, fragte ich »»ich, wie Solches möglich sei» könne. Schoa im Jahre 1886 hat der Senator Corbon ähnliche Scandale zur Sprache gebracht; er hat nachgewiefen, daß Kinder unter 4 Jahren täglich 8 cki» 9 Meter Saum machen. Auch daß di« Gerichte öfter schon gegen diese Anstalten Vorgehen mußten. Ei» für allemal sollte man den religiösen Orden verbieten, körperliche Züchtigungen ibrer Schüler vorznnehmen. Der Cardinal-Srzbischof Mathieu hat sie in einem Hirtenbriefe indeß befürwortet. Graf d'Haufsonville hat in seiner Schrift nachgewiesen. Laß die Congre- gationen bei ihren Pflegebefohlenen den Geschmack an den Leiden und am Tode pflegen. In einer Zeitschrift, die man sich nur schwer verschaffen kann, ist festgestellt, daß die Insassen dieser An» stalten zwischen 9 und 29 Jahren starben. In den Leichenreden erkläre» dann die Oberen, daß die Verblichene» glücklich seien, in» Jenseit» zu kommen. Ja in gewisse» Anstalten werden neuntägige Gebet« verrichtet, um daS Glück z» haben, bald zu sterbe». In Ouy müsse» die Kinder fortgesetzt von 5 Uhr Morgen» bi» 8 Uhr Abend» und dann noch in der Nacht arbeiten". Redner forderte die Verstaatlichung aller dieser Anstalten und eine wirksame Beaufsichtigung. Es handle sich hier um da- Interesse der Republik sowohl, al- um die Ehre der Menschheit. Der Socialist Veauquier theilte mit, daß in der Nähr von Besan^on eine Anstalt „Zum Guten Hirten" existier, die ihren Namen insofern wahr mache, als sie den Kindern die Haare vom Kopfe sckeeren und sie verkaufen lasse. AbbSLemir e war derAnsicht,daßdieKammernichtderOrtsür solche Anklagereden sei; man solle da- dem Untersuchung-- richter übrrlaffrn. „Die vorgrtragrnen Enthüllungen", sagte er, „haben auf w'ch einen tirfe» Eindruck gemacht und ich verlange eingehende Untersuchung, um so mehr, al» Dementi schön von allen Seiten kommen." AbbS Lemire legte den förmlichen Antrag auf Anstellung einerUntersuchung auf den Tisch deS Hauses nieder. Der Ministerpräsident Waldeck-Rousseau erklärte, die Anklagen seien derart, daß man sie kaum glauben könne. Sie bedürften der Klarstellung und die Regierung würde da- Nöthige veranlassen. Die Republik habt schon viel für die Wohl- thätigkeit getban. Weshalb theile man solche Miß stände nicht sofort den Behörden mit? Die Regierung habe ein Gesetz über die öffentliche Unterstützung auSgearbritet und werde eS in dem Sinne vervollständigen, daß die Anstalten den abziehenden Zöglingen eine Summe Gelbe- mit auf den Weg geben müssen. Da- Gesetz werde demnächst vorgelegt werden. Fourniöre erklärte, er sei durch die Zusage einer Untersuchung und der Gesetze-vorlage befriedigt und halte die Namen derer, die sich bei ihm beschwert haben, zur Ver fügung der Regierung. Der Krieg in Südafrika. -p. Auch der Beginn der neuen Woche bringt keinerlei amtlich beglaubigte Meldung über eine» entscheidenden Fort schritt auf einem der verschiedene» Kriegsschauplätze und da» Geheimniß der Nachricht, da- Londoner Krieg-amt halte drei, wahrscheinlich auf den Fall von Ladysmith sich beziehende Depeschen zurück, ist noch nicht gelüftet. E» bleibt also nicht weiter übrig, al» wieder zu warten und abermals zu warten. Bon der Transvaalgesandtschaft in Brüssel wird die Lage Lor- Methuen'S am Mo--erflusse al» sehr kritisch bezeichnet. Seine Verluste solle» 1L00 Mann weit übersteigen und die Verzögerung de- llebergang» über den Modderfluß soll nicht bloß auf die Nothweudigkeit der Heranziehung von Truppen, Munition und Proviant auS Capstadt, resp. au- de Aar, sondern auch darauf zurückzu führen sein, daß die Boeren am Modderflvffe eia be festigte- Lager errichtet haben, um den Bau eiaer Schiffsbrücke durch ihr Feuer zu verhindern, oder dock wesentlich zu erschweren. Da» GroS der Boeren steht, wie man annehmen muß, weiter nördlich bei Sputfontein in stark befestigten Stellungen, um Lord Methnen zu empfangen. Der General, dessen Truppen bekanntlich arg tecunirt wurden — in dem Treffen am Mvdderflussr wurde jeder fünfzehnte Mann kampfunfähig, ein Sechstel der Verluste sind Todte — ist bereit» durch Hochländer und eine Cavallerieabtheilung verstärkt, während die reitende Artillerie, da- kanadische Regiment und da- australische Contingent, sowie drei Infanterie-Bataillone auf der Linie von de Aar nach Belmont vorgerückt find. Mit dem Vormarsch auf Kimberley muß zugleich die Bahn linie au-gebeffert werden, um Truppen und Borräthe nachschieben und nach dem Eotsatz der Stadl die Bewohnerschaft zurückführen zu können. Außerdem ist eine Rückendeckung für die Colonne Methueu erforderlich, und zwar muß dieselbe besonder» stark sein, da, wie gemeldet, der Boeren-General Gröbler alle verfügbaren Truppen vom südlichen Kriegs schauplatz gegen die Bahnlinie Oraniefluß - Station — d« Aar wirft, um die OperationSbafi- Lord Methuen'S abzuschneiden. Die englische Streitmacht wird dadurch so außerordentlich iu IS, Das Pflegekind. Roman von Elsbeth Meyer-Förster. «-»druck vrrbotkil. „Eins möcht ich doch", rief Nettchen, die das Kind auf ihren Schooß gezogen hatte und es wie einen Bogel fütterte, „ich möchte mit Euch hinaus, einen Spaziergang machen. Komm, Groß mutter, ich zieh' Dich an, und wir gehen zu Fuß über die Haide nach Berlin und besuchen das Geschäft." Paul's Gesicht hatte sich wieder verdüstert. Bei der Erinnerung an dieses Stück praktische Leben mit seinen Forderungen glitt die alte Abspannung über seine Züge, ein Widerwille, der so stark war, daß er sich förmlich durch Gramfalten in seinem Gesichte ausdrückte. „Ach ja, geht, seht einmal zum Rechten", sagte er. „Ich habe noch zu schreiben, ich bleibe lieber zu Haus." — „So iS er immer", sagte die Großmutter traurig, als sie mit Nettchen und dem Kinde das Haus verlassen hatte. „Der Muth zum Leben is weg, mein Kind; und wenn ich sterbe, bleibt unser kleines Paulekm hier ohne Licht und Sonne zurück." — Sie schritten langsam weiter. Beide in Sinnen verloren. DaS Kind ernsthaft vor ihnen her. Es war still in der weiten Haide, nur ab und zu tauchte ver einzelt eine kleine Knabengrupp« auf, die einen Drachen in die Luft steigen ließ. Ein leichter Wind strich über da» niedrige, dünne, schon gelb gefärbte Gras, spielte mit den Mänteln der Kinder und trieb die papiernen Gebilde leicht und sicher in die Höhe, daß sie zuletzt wie winzige Punkte im klaren Aether schwammen. Der Klang der Kirchenglocken, die da» End« de» Gottesdienst«» auSliiutetrn, tönte von Berlin herüber und ging in Schwingungen über da» stille, gleichsam sonntäglich verstummte Land. „Großmutter", sagte Nettchen, „dort ist die Hasenhaide!" Sie war stehen geblieben und schaute hinüber; eine kurze, glühende Sehnsucht durchzuckte ihr Herz. „Warum muß ich weinen, Großmutter*, schluchzte sie, „r» ist doch nichts weiter gewesen da drüben — kein Glück und nichts — und doch ist mir's so seltsam, wenn ich hinüberschaue." . „Es ist nicht» weiter gewesen, Nettchen", sagte die alte Frau, »Irin Glück weiter, da» vir mit Augen fassen konnrn — mein Kind — aber es is Deine Jugend, die Du da drüben siehst, und um die Dir's weh thut." — Sie schritten weiter und Nettchen hielt nun innig den Arm der alten Frau gefaßt. „Sie ist noch nicht vorbei, — und sie soll nicht vorbei sein, Großmutter", sagte sie. „Wenn ich Dich ansehe mit Deinen zwei undachtzig Jahren, und wie frisch Dein Herz noch ist, da schäme ich mich, daß ich schon der Jugend Lebewohl sagen will. Das waren aber auch heut die letzten Thränen. Es ist eben immer noch Alles caput hier innen — von Allem, was geschehen ist, — jetzt aber wird Muth gefaßt und an Deiner Statt in den Kampf ge treten." Die Großmutter sah Nettchen prüfend an. „Ja, Großmutter", fuhr Nettchen fort. „Jetzt wirst Du mich müssen gewähren lassen, daß ich für Dich dir Sorgen aufnehme, denn der Paul ist krank an Leib und Seele, genau so wie ich's eine Zeit lang war. Der muß erst wieder zum Leben aufwachen." „Wie willst Du die Sorgen aufnehmen, Du thörichte Mariell*, wandte zärtlich die Großmutter ein. „Al» Geschäftsführer tret' ich ein in Euren Laden!" rief Nettchen mit dem früheren Uebermuth. „Ich und Euer brummiger junger Mann, wir werden uns schon vertragen. Und da paß Du nur auf, wie wir die Karre bald in Gang bringen werden, — daß Du und Paul noch al» Rentiers in die Billencolonie ziehen könnt." — — In die Kellerwohnung der Drogenhandlung drang ein fahler Schimmer der Mittagssonne. Karl saß, dir Arme aufgestützt, am Eßtisch und beobachtete stumpfsinnig die ineinanderqukrlenden Stäubchen, die in dem Sonnenstreifen über dem Tische tanzten. Bon der Straße her vernahm man durch das halb offene Fenster das Scharren der Füße vorübergehender, und wenn man den Blick nach dem Fenster wendete, konnte man wie in einem Schattenspiel endlose Proeessionrn vorbriglritender Gestalten sehen. Seit einer Stund« saß er da, den Kopf in die Hand gestützt, und grübelte vor sich hin. Oben im Laden, der für die zwei Sonntagmittagstunden ge öffnet war, hörte er dir Stimme seiner Frau, der alten Frau Brinkmann und eine dritte, Helle, klare Stimme, deren Lauten er düster lauschte. Dazwischen vernahm man Kindergejubel und Trappeln kleiner Füße, — da» waren Paul und seine eigene kleine Tochter Anna, die sich gegenseitig im Laden herumjagten. — Die fremde, Helle, klare Stimme! Er konnte noch immer nicht fassen. Er begriff diese Be gegnung einfach nicht, diesen Zufall, der so hart in die Vergangen heit und ihre unseligen Stunden zurückgriff. Brinkmanns Pflegetochter! Dieses Äaullermädchen, dem er nachgeirrt war, dessentwillen er seine Familie verlassen hatte, — Paul Brinkmann's Jugendfreundin! Sein Beistand begriff es nicht. — Er vergegenwärtigte sich den ersten Moment, das Wiedersehen. Ihm hatte vor Schreck, vor Fassungslosigkeit fast das Herz still gestanden. Sie aber hatte ihn kaum wiedererkannt. Mit stotternden Worten war er ihrem Grdächtniß zu Hilfe ge kommen. Es sollte klar werden von Anfang an; sie sollte fühlen, daß zwischen ihm und ihr und seinem Weibe und Kinde keine Gemeinschaft bestehen konnte. Aber sie hatte ihn nur mit unbe fangenen Augen staunend angeblickt, — bann war ein Lächeln des Erstaunens über ihre Züge gegangen. „Karl, der Knecht aus der „Sonne"! Freilich weiß ich es noch!" Und wie Wellen eines Baches waren Fragen über ihn hergestürzt, Erinnerungen an „dazumal", während ihre Augen schon wieder ernst und fragend über die neue Umgebung glitten, Alles zu prüfen. Alles zu durch dringen suchten. Der ehemalige Knecht hatte in Verwirrung vor ihr gestanden, — ja, das war dasselbe kühne, reizende und leb hafte Gesicht, das ihn mit dem Hellen Lächeln so verwirrt hatte, aber doch war etwas Andere- in den Zügen, — ein Ausdruck von Sanftheit, von Festigkeit, etwas, für das er keine Erklärung fand, und das ihm doch einige Scheu einflößte. „Da» Fräulein soll bei uns eintreten ins Geschäft", sagte Anna, welche die beiden Frauen zuerst begrüßt und erst nach längerer Zeit ihren Mann hinzugerufen hatte. „Wir haben Alles schon durchgesprochen; für den Herrn Paul solls noch eine Weile eine Ueberraschung bleiben." Und Karl war wieder hinunter geschlichen in den Keller, schuldbewußt und von Abwehr und Zorn erfüllt, von düsterer Unruhe und ohnmächtigem Groll. Er öffnete da» Kellerfenster und lehnte sich auf da- niedrige SimS. Auf den Steinfliesen vor seinen Blicken lag nun kein Sonnenschimmer mehr, der war emporgeglittrn, an den Häusern hinauf, und schien nun in die klaren Fenster der Reichen. War e» nicht Mit seinem Leben so? Das war auch ein Kellerdasein, und nur einmal war das goldene Licht hereingedrungen, damals, al- er mit dem fremden Mädchen durch den Wald zog und sie da» Lied vom Wandern sangen. — Ein Luftzug streifte seine Stirn, er blickte sich um und sah seine Frau durch die Thür eintreten. „Karl", sagte sie, indem sie näher trat und schüchtern ihre Hand auf seinen Arm legte, „da» Fräulein will gleich morgen ein treten, da wird e» dann auch für un» besser werden. Dann brauchst Du Dich nicht mehr so abzuplagen, und ich habe dann einen Menschen, mit dem ich ab und zu einmal plaudern kann. Man wird so stumm hier unten im Keller; es ist, als legte sich Einem mitunter die Decke auf den Kopf!" Er blickte sie an und senkte dann die Augen zu Boden. „Ja", fuhr Anna fort, indem sie mit scheuer Zärtlichkeit seine Hand ergriff, „ich freu' mich auf sie, und Du mußt kein so finsteres Gesicht machen. — Wie sie mit unserem Mädel umgeht!" fügte sie hinzu, und ein mütterliches Lächeln verschönte für einen Augenblick ihr Gesicht. „Das merkt man, daß sie selbst eine Mutter ist — sie hat ihr Kind begraben, dort bei Pari» herum, wo's nicht mal Blumen auf den Gräbern girbt. Ihr Mann —" Sie brach ab und blickte erstaunt auf ihren Mann, der in den Packraum getreten war und mit den Fässern herumzurumoren be gann. „Willst Du nicht weiter hören?" sayte sie. „Nein", entgegnete er. Und er warf dre Jacke ab, und trotz der Sonntagsruhe begann «r mit seinen schwieligen Händen in den beißenden Laugen herumzurühren, al- gelte eS seine Seligkeit. Nettchen trat, nachdem sie ihre Verpflichtungen bei Renz gelöst hatte, mit Eifer in das Geschäft ein. Es war ihr klar: Hier war Diele- Vernachlässigung, und für Den, der frischen Muth mitbrachte, konnte eS nicht- Unmögliche» sein, das Ladengeschäft bei den neuen, günstigen Berkehrsverhält- nissen wieder in Schwung zu bringen. Die Leute, welche ihren Bedarf aus irgend welchen zweck mäßigen Gründen in Prechtler'S Drogenhandlung zu decken ge dachten, machten zunächst sehr erstaunte Augen, als sie statt de» finsteren Menschen mit dem entstellten Gesicht eine junge Frau in adretter Kleidung, mit blendend weißer Schürze, gekrausten Haarlöckchen und sehr zierlicher Taille hinter dem Ladentisch stehen sahen. Die weiblichen Käufer mußten sofort auf der Stelle wissen, welche Bewandtniß eS mit dieser Veränderung habe. Nettchen war durchaus nicht darauf bedacht, ihren Fragen auSzuweichen. Sie wußte, kannte sehr genau die Hauptschwäch« ihrer Mitschwestern, und ihr Talent, die schwachen Seiten der Menschen zu erfassen, verließ fi, auch hier nicht: Ohne ihre innersten Angelegenheiten zu berühren, erzählte sie von Pari», Von ihrer früheren Laufbahn, von Schicksalen und Dingen, die sie in ihrem wechselvollen Dasein mit scharfem Auge draußen in der Welt beobachtet hatte und die ihre lebendige Phantasie von dem grauen Hinterarund« de» All täglichen abhob. Di« geschwätzigen Kundinnen blieben gern noch rin Diertelstündchen stehen, um ihren Senf zu Allem, wa» sie da Neue» und Unt«rhalt«nde» hörten, dazuzugebrn. Plötzlich fi«l
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