01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 14.11.1907
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-11-14
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19071114011
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907111401
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907111401
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-11
- Tag1907-11-14
- Monat1907-11
- Jahr1907
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Morgen-Ausgabe 8. Bez«g»-Pre»s ckr Netpzta nnd Kornett bur« myere lrt-er «id Spediteure ist Hau» gebracht: Nu»gub« L temr «oraea») vierteljä-rlich 3M. »»n<ul,ch t M. Aulgab« N (mnraen» uiu> abend») viertel, jährlich 4.SV M. «oneUich 1.S0 M. Durch di« P»A bezogen <- mal täglich) innerhalb Lentlchlnnd« und der deutschen Nolonte» vierttljtlirlich >25 M., mnnatlud 1.75 M autschl. Pop. deftellgeld ihr Oeperreich i> 8 66 b. Ungar» 8 ii. vierteljährlich. Ädonnement-Snnabme. Uug oll »»Platz 8 bei unleren lrägern. Filialen, Spediteure» und Lanadmrpellen, iowie Postämtern und Briefträger». Die einzelne Nummer kostet «0 Dfp- Redaktton und Expedtltour Johauui-gasje 8. Llebbon Nr. 14SS2 Nr. l»«ir Nr. 14SS4. Berliner «edaktiou« Bureau: Lerlin kiV. t Prinz Lvui« Ferdinand. Straste I. Delepho» I, Nr. S275. rWMrTaMM Haudelszeitnng. Amlevlatt des Males und -es Molizeiamles -er Lla-t Leipzig. Nr. 318. Donnerstag 14. November 1907. Lnzeigeu-Preit sbr Inserat« au» Leipeia und Umgebua» di« 6 gespaltene Petitzeile 25 Ps., sinanzielle tnzeigen 80 Ps., NeNamro l M.; von auewärt« 30 Pf., «rklamen 1.20 M nomrlu«land50Ps., finonz.kln,eigen75P' ReNanieu 1^0 M. Inserate n. vehärde» im -nUlichen Teil 40 P> Veilagegebildr 5 M. x. lausend erkl. Posi gebühr, »eschastsanzeigen an bevorzugter «teile im Preise erhöht. Rabatt nach Dari' Festerteilt« Austräge können nicht zurüil -«zogen werden. Für das Erscheinen an bestimmten Lagen und Plätzen wird keine Garantie übernommen. «neigen.Annahme. Augustu-platz 8 bei sämtlichen Filialen u. alleu Annoncen- ExpedUionen de« In- und Anstande» chaupr Filiale Berlin. Carl Lunch: Herzog!. Vahr. Hofbuch. Handlung Lützoivstraste IL (Delrphon VI. Nr. 46M). 181. Jahrgang. Lsa» wichtigste vom Tage. * Gestern gab die City vonLondon dem Kaiser ein großes Bankett inGuildhall. fS. Artikel 3. S.) * Bei der gestrigen Landtagsersatzwahl für den verstorbenen Ab geordneten Kluge fKons.) im 14. ländlichen Wahlkreis wurde Pastor L t a r k e - Dorfchemnitz fKons.) mit 39 Stimmen gewählt. Der Gegen kandidat Lehrer Süß- Heidelberg b. Sayda fKons.) erhielt 31 Stimmen. * Bei der gestrigen Gemeinderatswahl in Weimar siegten die bürgerlichen Parteien glatt über die Sozialdemo kraten, die keinen Kandidaten durchbrachten. * Der langsährige Leiter des Goethe-Nationalmuseums, Geh. Hof rat Professor Dr. Ruland, ist gestern nachmittag in Weimar ge - storben. * Zwei eingesperrte gefährliche Aufwiegler der Bevölkerung Indiens sind wieder' losgelassen worden. lS. Ausl.) Die -ritte Duma. Wenn wir Rußlands dritte Duma, welche heute eröffnet wird, und ihre Bedeutung charakterisieren wollen, so bleibt uns nichts anderes übrig, als uns mit dem Gegebenen abzufinden. Daß sie dem Ideal einer Volksvertretung nicht entspricht, darüber braucht kein Wort verloren zu werden. Freilich, wenn es Komparationsformen des Unerreichbaren gäbe, so müßte man von vornherein eine dem wahren Volkswillen genau entsprechende Vertreterversammlung in Rußland für das unerreich barste aller Ideale erklären. Das allgemeine Wahlrecht vermöchte sie dort unter keinen Umständen heute zu schassen. Deswegen nicht, weil von einem Volkswillen überhaupt nicht die Rede sein kann. Wer an an geborene sittliche Ideen glaubt, würde doch niemals eine Urwählermehr- heit im Kannibalenlande, welche sich für die Beibehaltung der Menschen- fresserei aussprächc, als den Willen eines Fragmentes der Menschen natur ausgeben dürfen. Viel anders ist eS aber auch nicht bei den durch revolutionäre Wühlereien mißleiteten Bauernmasfcn im heiligen Rußland, deren angeborener sittlicher Widerwille gegen gewaltsame Ver- letzungen des Eigentumsbegriffes heute von eingeredeten eigensüchtigen Begehrungen überwuchert erscheint, aber durch eine bessere Erziehung ^es Volkes gewiß wieder an die Oberfläche hcrvorgedrängt werden wird Lurch erne solche Voltserziehung der Zukunft kann erst das intellektuelle Substrat eines wahrhaften Willens erzeugt werden. Nur ein solcher Volkswille aber ist vertretungswürdig, nicht sein Surrogat, ein schrankenloses Walten der Begchrungcn. Wenn wir aber auch das allgemeine Wahlrecht in Rußland für un brauchbar halten, so lange die heutige Volksverhetzung fortbesteht, so müssen wir doch bei unserer Verdammung der Art und Weise bleiben, durch die mit gesetzgeberischen Ausklügclungen und mit allem Raffine ment der Wahlmachc eine für die Regierung brauchbare Duma im dritten Anlauf endlich zustande gebracht ist. Solch eine Körperschaft ist nichts als eine Karikatur einer Volksvertretung. Sie kann im besten Falle den Charakter einer willkürlich zusammengesetzten Kommission zur Beratung der Gesetzentwürfe erhalten, einer Art Notabelnversamm- lung. Wird nicht wenigstens endgültig mit den Auslösungsdrohungen nunmehr gebrochen, so ist ihre Stimme im Gegensatz zu den Verfassungs vorschriften damit in Wahrheit zu einer bloß beratenden herab gedrückt. „Und bist du nicht willig, so brauch' ich Gewalt!" Nichtsdestoweniger mag diese unter reaktionärem Druck und revo lutionärer Demagogie verkrüppelte, die Gesetzentwürfe der Regierung berorende Kommission einen Wert für Rußlands Entwicklung gewinnen. Es handelt sich für ihre besseren Elemente darum, die Aera der revo- lutionären und antirevolutionären Zuckungen zu schließen und die par lamentarische Form in Rußland einzubürgern, dadurch, daß man sie verfassungsmäßige Periode endlich einmal mit dem gegebenen Ad- geordnetenmateriol zu ihrem natürlichen Ende gelangen läßt. War die erste Duma ein Geschöpf des langverhaltenen Grolls, der endlich seine Höhle sprengte und die bittersten Pfeile auf seine Zunge legte; blieb die .weite ein verkümmertes Opfer der Furcht vor einer Wiederholung der Katastrophe, welche ihre Vorgängerin ereilt hatte: dann muß die dritte unter dem Zeichen der Resignation stehen, wenn sie ihrem Lande überhaupt etwas werden will. Wir würden die dritte Duma mit besseren Erwartungen begrüßen, wenn diese Entsagung von einem Bewußtsein der Entsagenden ge- tragen würde. Aber man vergegenwärtige sich die Zusammensetzung des neuen Hauses! Die starke Kadettenpartei der ersten Duma entbehrte jeglicher politischen Schulung, aber ihre reine und flammende Begeisterung wirkte wohltuend. In der zweiten Duma hatten sie die Grenzen des für das heutige Rußland Erreichbaren begreifen und sich ihm anzubcquemen gelernt. Heute ist ihre absolute und relative Macht dermaßen herabgemindert, daß ihre Entsagung aufhört, ein Verdienst zu sein. Die Oktobristenpartei hingegen darf auf den Vorzug Anspruch machen, daß sie den Wert eines Verzichtes auf theoretische Vollkommen heit frühzeitiger erkannt hat, wenn auch nicht rechtzeitig, da in der aller- ersten Duma die Zeit der Entsagung noch nicht gekommen war. Daß Emders ihrem rechten Flügel bislang kein Anerkennungszeugnis ner liberalen Gesinnung von den linksstehenden Parteien zuerkannt ist, daraus wollen wir noch kein Gewicht legen. Aber wenn man !30 Oktobristen, 40 Kadetten und 4 „friedliche Erneuerer" zusammen zählt. so kommen in alle Wege bloß ungefähr 175 heraus, denen 200 von der Rechten gegenüberstehen. Selbst wenn es gelänge, die Polen, Mohammedaner und andere kleine Gruppen zu einem Anschlüsse an den „Zentrumsblock" zu bestimmen, könnte höchstens dieser der Rechten die Wage halten. ES wären alle Abstimmungen dem Zufall der Anwesenheit preisgegeben, vorausgesetzt, daß die äußerste Linke Ge wehr bei Fuß sicht im Streit der „reaktionären Masse". In diesen Zahlenverhältnissen, in dieser Parteizusammensetzung der neuen Duma liegt ihre eigene Schlechtigkeit beschlossen, welche sie mit der Zersetzung, mit dem Untergange bedroht. Da eine Verstau- digung mit der äußersten Linken vollständig unmöglich ist, bleibt nur eine Vereinbarung mit der Rechten denkbar. Eine solche wird ja auch angekündigt. Die Rechte ist zu einem Zusammengehen mit der Oktoberpartei bereit. Im ersten Schreck möchte man glauben, daß mit dieser Nachricht den Oktoberleuten ihr moralisches Urteil gesprochen sei. Allein eS ist zweifellos, daß das Entgegenkommen der Rechte» von der Regierung bestimmt ist. Nun lebt man dort ja freilich nicht in Ker besten aller parlamentarische» Welten, wo eine mächtige Partei sich von einer nicht auS ihrem Schoße hervorgeaangenen Re gierung als Drahtpuppen, als Jasager «ans pbrn« gebrauchen läßt. Aber daS Nebel wird erträglich, wenn in dem Puppenspieler ein In tellekt verkörpert ist; erträglicher als ein sinnloses Walten der rohen, intellektlosen Kräfte selber. Wenn man wenigstens die Gewähr hätte, daß die russische Regierung während der Dauer dieser Dumapcriode Stolypin heißen wird! Und — daß Stolypin Regierung sein wird und nicht mehr Regierter als Regierung. Bei dem nur allzu bekannten Treiben der „Neben regierung" — von dem russischen Exemplar dieser Spezies wird auch Herr v. Rüger einige Kenntnis besitzen! — wagen wir noch nicht zu hoffen, weder auf den Bestand der Kabinetts, noch auf seine Un- abhängigkeit. Soll doch auch die Auflösung der zweiten Duma dem Ministerpräsidenten wider seinen Willen abgepreßt sein! Ein Minister aber, der seine bessere Einsicht und seinen besseren Willen ver gewaltigen läßt, verliert das Recht, als benannte, bestimmende Größe bei politischen Wahrscheinlichkcitsfragen in Rechnung gestellt zu werden. So bleibt denn die Zukunft von Rußlands dritter Duma, dieses Bastards vom Hengste reaktionärer Wahlmache und der Stute revolu tionärer Volksverderbung, in ein delphisches Dunkel gehüllt, und wenn sie noch so krampfhaft aus dem Prinzip der „Arbeitsfähigkeit" herum reitet — und die neue Stuckverkleidung im Taurischen Palais dauer hafter ist als die, welche im jüngsten März beim ersten Anheizcn des Saales hcrunterlrachtc. O Die 36 Mitglieder starke rechte Gruppe des Reichsrats mit Schwanebach, Stischinski, Durnowo und v. Wahl an der Spitze hielt eine Privatberatung über die künftige Tätigkeit der Duma ad. Die Gruppe steht auch der neuen Duma sehr Pessimistisch gegenüber. Schwanebach nimmt an, daß auch sie für schöpferische Arbeit untaug- lich sei, und sich ein Erfolg von ihrer Tätigkeit nur so weit erwarten lasse, als sie sich der Opposition enthalten werde. Durnowo ist der Ansicht, daß die Duma ihr wahres Gesicht sehr bald zeigen werde, cs bleibe abznwarten, ob sic sich mit ernsten Dingen oder nutzlosen Inter pellationen beschäftigen werde. Der einstige Gehilfe des Ministers Plehwe General ».Wahl findet, daß sich von keiner Duma etwas Gutes erwarten läßt. Sehr leicht möglich sei allerdings, daß die dritte Duma nicht mehr, wie ihre Vorgängerinnen, die Regierung an der Durch, fübrung notwendiger legislativer Arbeiten hindern werde. Aeußerst leb- hafte Debatten rief die Frage über das künitige Dumazentrum hervor. Die rechte Gruppe des Reichsrats hält eine Vereinigung der Oktobristen und der Kadetten für ein Unding. Sollte die Vereinigung zustande kommen, so wäre dies das Ende des Oktoberverbandes. Ter einzige Ausweg liege in einer festen Verschmelzung der Oktoberfraktion mit der Rechten. Aus -ein sächsischen Landtag. Es ist erreicht! Die Etatsdebatte in der Zweiten Kammer des sacy- sischcn Landtags ist beendet, beendet nach einem sechstägigen Redewerk! Gestern freilich mußte man noch zweimal tagen, um dieses Ziel zu er reichen. Die erschöpften Volksvertreter schlossen in den Nachmittags- stunden, um dann nm 5 Uhr noch zu einer Adendsitzung zulammen- zutrcten. Wir können an dieser Stelle nur über die erste Sitzung reden, der Bericht über die zweite läuft erst mählich auf dem Draht ein. Diese Sitzung brachte weniger Bemerkenswertes aus dem Hause selbst als vom. Regierungstisch. Zunächst wurde von neuem aus dem Munde eines Ministerialdirektors die Beruhigung gegeben, daß die in einigen Blättern immer wieder geäußerten Bedenken, wonach die An- läge des neuen Leipziger Bahnhofs betriebsgefährlich sein soll, der Begründung entbehrt. Hoffentlich genügt dies, den zumeist nur auf Sensationsmachc berechneten entgegen gesetzten Gerüchten endlich ein Ende zu machen. Ferner war aus desselben Ministerialdirektors Worten zu entnehmen, baß man sich mit der Einführung einer Rückfahrkarte beschäftigt — wenn auch nur in der Form, daß eine aus zwei Teilen bestehende Karte ge bildet werde, die auch eine längere Gültigkeit haben könnte. Weshalb die Gültigkeit überhaupt beschränkt bleiben soll, dafür wurden keine triftigen Gründe angeführt. Es gibt solche ja auch nicht. — Dann kam Finanzminister v. Rüger auf das Gebiet derEiscnbahngemein- sch asten zu sprechen, und was er hier ausführte, dürfte im Unterschieb von vielem, was sonst während der sechstägigen Etatsdcbattc vom Finanz. Minister geäußert worden ist, starke Zustimmung im Lande finden. Minister v. Rüger teilte mit, daß, nachdem die Verhandlungen über die von Württemberg vorgeschlagene Betriebsmittclgemeinschaft fallen ge lassen worden seien, Verhandlungen über bayerische Vorschläge statt finden, die auf einen Staatseisenbahnverband abzielten und vor allem eine besondere Ausnutzung des Güterwagenparkes gewährleisten sollen. Die loyale Haltung der preußischen Regierung lasse erhoffen, daß dle außerordentlich schwierigen Verhandlungen zu einem befriedigenden Er- gebnis führe» werden. — Hoffen wir es also! Aber noch eine weitere Mitteilung wurde aus dem Gebiet des Eisenbahnwesens, wenn auch rein technischer, so doch recht interessanter Art. Geh. Baurat Ulbricht erwähnte nämlich, daß über die Frage der Elektrisierung von Hauptbahnlinien eingehende Unter suchungen stattfinden. Das ist jedenfalls für weite Kreise der Bevölke rung etwas ganz Neues, ist doch gerade die gegenteilige Anschauung viel verbreitet, als denke man in absehbarer Zeit nicht mehr an Elektri sieren großer Eisenbahnstrecken Die Mitteilung des Geh. Baurats wirk» deshalb überraschend wirken und viel erörtert werden. Wenig erfreulich war die Erklärung, die Geheimrat Dr. Wehle über die Lage des Freiberger Erzbergbaues abgeben mußte. Hatte man noch immer an der Hoffnung fcstgehalten, es werde sich wenigstens eine beschränkte Aufrechterhaltung deS Freiberger Bergbaues durchführen lassen, so zerstörte der Regierungsvertreter auch diese bescheidene Hofs- nung völlig. Die Abrüstung wird vollständig erfolgen und damit e,n Stück älteste sächsische Industrie ausgeschaltet werden. Die Regierung meint aber, wenigstens die Bergakademie der Stadt Freiberg erhalten zu können. Schließlich erfolgte noch eine Aufklärung aus dem Hause, die Ver stimmungen der letzten Tage beseitigen wollte. Der Abg. Hettner gab seiner Aeußerungen über die Presse eine Deutung, die ihnen den beleidigenden Charakter nehmen, den man in ihnen gesehen hatte. Und so wird mit dem Ende der EtatSdcbatte auch der „partielle" — nämlich nur gegen einen Abgeordneten gerichtete — Journalist en st reit in der sächsischen Kammer sein friedliches Ende finden. Er war ein kräftiger Beweis dafür, daß daS Solidaritätsgefühl in der Presse im ent- scheidenden Augenblicke trotz aller politischen Differenzen nicht versagt. Und das ist gut so zu Nntz und Frommen der Presse nnd — anderer Leute' Rekordfahrterr. Von England aus wird mal wieder triumphierend der Welt ver kündet, daß „Lucy", wie der neue Cunarddampser „Lusitania" kurz ge nannt wird, unbestreitbar den Ozeanrekord gebrochen habe. Tas „blaue Band" das Deutschland so lange mit dem „Kaiser Wilhelm II." des Norddeutschen Lloyd und der ,,Deutschland" der Hambura-Amerika- Linie verteidigt habe, sei endgültig wieder in englischen Besitz über gegangen: nach einer Fahrt von 4 Tagen 18 Stunden und 40 Minuten habe die „Lusitania", die am Montag, 11. d. Mts., Queenstown verlassen habe, am Sonnabend, 9. d. Mts., früh Sandy Hook erreicht. Die Durchschnittssahrt habe 24^ Seemeilen per Stunde betragen, das seien im Durchschnitt Meilen stündlich mehr, als die beste deutsche Leistung westwärts. Die Rechnung selbst stimmt. Von Daunts Nock Feuerschiff — von da an wird die Fahrt ab Queenslown gerechnet — bis nach Brandy Hook sind 2780 Meilen, was bei einer estektioen Reisedauer von 4 Tagen 18^ Stunden 24^ Knoten Durchschnitt ergibt. Tas ist mehr als bis jetzt ein deutscher Dampfer erzielt hat. Gleichwohl ist es gestattet, etwas Wasser in den britischen Wein zu gießen. Daß man aus keuschen Werf ten Schisse von gleicher Größe und Leistungsfähigkeit zu bauen versteht, kann die deutsche Technik jeden Augenblick beweisen, sobald ihr ein solcher Auftrag von einer Reederei erteilt werden sollte. Daß dies bislang nicht geschehen ist, hat seine sehr triftigen prak tischer Gründe. Denn ein Dampfer, der auf eine Mindestleistung von 24—25 Seemeilen stündlich erbaut ist, kostet zwar erheblich mehr und arbeitet auch wesentlich teurer, als em Dampstchifs, das 22—23 Knoten macht, ist aber für eine deutsche Reederei darum nicht mehr wert, als ein Schiff von 22 Meilen Durchschnittsgeschwindigkeit. Es gibt nämlich trotz der höheren Geschwindigkeit den deutschen Reedereien nicht die Möglichkeit, ihre Fahrgäste früher in New Aork Ku landen. Bis jetzt werden die deutschen Dampfer so abgesertigt, daß ste am Mittwoch abend 7 Uhr Cherbourg, den westlichsten europäischen Hasen, verlassen und Dienstag vormittag ihre Passagiere in Hoboken, dem westlichen Vorort von New Nork, landen. Daran würde auch nichts geändert werden, wenn man deutscherseits die Geschwindigkeit der Dampfer auf 26 Knoten erhöhte. Denn bei einer zu durchlaufenden Distanz von 3175 Meilen würde ein von Cherbourg am Mittwoch abend 7 Nhr abgehender Dampfer mit 26 Meilen Durchschnittsfahrt doch erst am Montag abend 9 Uhr in Sandv Hook sein. Es käme noch hinzu die etwa zwei Stunden in Anspruch nehmende Fahrt Sandy Hook—Hoboken, die Zeit für die Abfertigung durch den Sanitätsbeamten und die Zollrevision. Letztere kann aber nach amerikanischer Vorschrift im Hafen von New Hort nur bis um 6 Uhr abends startfinden. Ein Dampfer der noch am Montag abend seine Fahrgäste landen will, muß also spätestens gegen 3 Uhr nach mittags Sandy Hook passieren. Mit anderen Worten: die Fahrzest Cherbourg—Sandy Hook mußte verkürzt werden auf vier Tag« 20 Stunde-,. Das würin möglich sein bei einer Durchschnittsfahrt von 27^5 Meilen stündlich im Minimum. Um auf alle Fälle sicher zu gehen, mußten die deutschen Reedereien sich eine Mindestleistung von 28 Knoten vertraglich bei den Werften ausbedingen. Tie Erbauung solcher Dampfer ist, wie schon oben gesagt, in Deutsch land sehr wohl möglich; sie würden aber im Betriebe sehr unrentabel sein. Denn eine Steigerung der Geschwindigkeit um 5—6 Seemeilen stündlich setzt eine wesentlich größere Maschinenstärke und einen im Ver hältnis noch viel größeren Kohlenverbrauch voraus. Der Kohlenver brauch wächst nämlich etwa mit der dritten Potenz der Geschwindigkeit, so daß ein Schnelldampfer wie „Kaiser Wilhelm II." des Nordoeurichcn Lloyd bei einer Maschinenleistung von 45 000 indizierten Pferdestärken 760 Tonnen sd. h. 15 200 Zentner) Kohlen täglich erfordert und damit 23s/r Mcilen stündlich zurücklegt, während zur Erzielung einer Ge schwindigkeit von 16 Seemeilen nur 120 Tonnen f2400 Zentner) not wendig jind. Wenn kürzlich von dem Direktor einer großen Hamburger Gesell schaft geäußert wurde, im transatlantischen Verkehr werde von den Passagieren weit mehr auf möglichst große Bequemlichkeit gesehen, als aus hohe Geschwindigkeit, so halten wir das für eine nicht einmal stich- haltige Augenblicksausrede. Denn der Herr ist selbst ein viel zu smarter Geschäftsmann, als daß er nicht wissen sollte, daß der Haupt teil der Reitenden auf den großen Schnelldampfern amerikanischer Herkunft ist. Der Amerikaner vertritt aber durchaus den Grundsatz „Zeit ist Geld" und zahlt lieber die höhere Passage für einen schnellen Dampfer, als die niedrigere auf einem langsameren; denn in der ge wonnenen Zeit läßt sich für ibn die Preisdifferenz vielleicht zehnfach wieder verdienen. Allerdings sieht der Amerikaner, und der Deutsche nicht minder, daneben auch auf möglichst großen Komfort und ausgesuchte Verpflegung. Denn die Zeiten sind vorbei, wo man sagte: „Zur See fahren müssen wir. zu leben brauchen wir nicht!" Heute heißt es: „Wir müssen zur See fahren und dabei mindestens so gut oder noch besser leben als in dem ersten Hotel an Land." Es wird also Aufgabe der Technik sein, und diese Aufgabe ist vom Norddeutschen Lloyd auch bereits im Prinzip gestellt, einen Dampfer zu schaffen, der mit der Rentabilität seines Betriebes eine Geschwindigkeit von nicht unter 28 Meilen verbindet. Ob dies mit Turbinen, oder mit Kolbenmaschinen oder mit einer Kombination beider erreicht wird, ist gleick>gültig. Eine Hauptsache ist weiter ein ruhiger Gang der Ma- schinen, denn Vibrationen, wie sie auf der „Lusitania" und auch aus ihrem Schwesterschiff, der „Mauretania", aufgetreten sind, vergrößern keineswegs die Annehmlichkeit des Aufenthaltes an Bord. Tie Er bauung von Schiffen mit einer stündlichen Geschwindigkeit von 24V?—27 Meilen bedeutet weiter nichts als zwecklose, Geld verschlingende Er perimente, und wird deshalb von keiner deutschen Reederei weiter verfolgt. Hat die Technik aber einmal die vorstehend gekennzeichnete Aufgabe gelöst, was lediglich eine Frage kurzer Zeit sein kann, )o wird der neue Dampfer, als dessen Namen wir ,Larl Schurz" Vorschlägen, von der deutschen Reederei in Auftrag gegeben werden ohne staatliche Beihilfe. Die neuen Cunarder aber, das sei hier einmal ausdrücklich betont, baden überhaupt nur erbaut werden können, nachdem der englische Staat der Gesellschaft einen Vorschuß von 52 Millionen Mark zum Bau der Schiffe gegeben hat. Tatsächlich gehören ste also kaum der Cunard- Linie, sondern dem Staate, und die Gesellschaft ist lediglich die Leiterin, und zwar eine gut bezahlte. Denn dadurch, daß ste dem Staate diese 52 Millionen nur mit 2^4 Prozent zu verzinsen hat, während sie aus dem Geldmärkte mindestens 3s/x Prozent dafür zu zahlen hätte, erhält sie indirekt vom Staate eine jährliche Unterstützung von 390 000 .S. Außerdem aber wird der Cunard-Linic für diese beiden Tampfer noch eine jährliche Staatssubvention von 3 Millionen Mark gezahlt und drittens noch für die Postbeförderung fauch nur für die „Lusitania" und „Mauretania") jährlich 1,4 Millionen Mark, so daß der Staat den beiden Schissen jährlich fast 5 Millionen Mark Unterstützung zuwendet, wofür er außer der Postbeförderung lediglich das Recht bat, im Kriegs- falle die beiden Dampfer gegen gute Bezahlung als Hilfskreuzer zu be nutzen. Noch interessanter aber als die Gewährung dieser Subvention selbst ist aber ihre Begründung. Es beißt darin wörtlich, der Zuschuß sei „nötig, um wenigstens ein paar Schisse zu haben, die die Schnell- Kämpfer anderer Nationen überholen können. Damit wird zugegeben, daß die englischen Schiffahrtsgesellschaften aus eigener Kraft nickst meb, die Höbe der deutschen Leistungen zu erreichen vermögen. Das ist das größte Kompliment, das Deutschlands Reedereien gemacht werden kann Sie emittieren dankend darüber nnd — denken nicht daran, sich aus ihren Lorbeeren schlafen zu legen.
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