2 Walter May Die Dresdner Architektur im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts Innerhalb der Dresdner Architekturgeschichte ist das letzte Drittel des 18. Jahrhunderts ein klar abgrenzbarer Entwicklungsabschnitt. Er umfaßt den Zeitraum von 1763 bis in die erste Jahre des 19. Jahrhunderts, vom Ende des Siebenjährigen Krieges bis zum Ausbruch der Napoleonischen Kriege, von der Aufgabe der polnischen Königswürde bis zur Errichtung des Königreiches Sach sen. Es sind die letzten Jahrzehnte des Kurfürstentums, das mit dem Ende des Siebenjährigen Krieges aus der Reihe der großen europäischen Mächte ausgeschieden war. Künstlerisch war es der Übergang vom Spätbarock zum Klassizismus, der sich erst am Ende die ses Abschnittes gänzlich vollendete. Während die Dresdner Architektur im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts durch einen bedeutenden Bauherren, August den Starken, und im zweiten durch einen einflußreichen Architekten, den Oberlandbaumeister Johann Christoph Knöffel, ge prägt war, fehlten ihr im letzten Drittel solche herausragende Persönlichkeiten. Das vom Hof be stimmte architektonische Milieu der Residenz, das zur Jahrhundertmitte eine erstaunliche Pro gressivität gezeigt hat, verfiel in Stagnation und nahm allmählich konservative Züge an. Neben der wirtschaftlichen Situation des Landes und der sozialen Struktur der Residenz spielten dabei persönliche Faktoren eine Rolle. Von dem Kurfürsten Friedrich August III., der 1768 mit 18 Jah ren die Regierung übernahm und sie mehr als zwei Generationen hindurch ausübte, gingen keine künstlerischen Anregungen aus. Er akzeptierte den spätbarocken Stil des Dresdner Bauamtes, das nahezu während des gesamten letzten Drittels des Jahrhunderts unter der Leitung Christian Friedrich Exners stand. Exner setzte in trockener Weise die Formensprache der Jahrhundertmitte fort und ließ als Oberlandbaumeister kaum noch einen künstlerischen Fortschritt erkennen. Da sich die höfische Kultur der Residenz weitgehend auf sich selbst zurückzog und keine Ausstrah lung mehr besaß, zeigte die Dresdner Architektur zwar auch im letzten Drittel des Jahrhunderts noch ihr kultiviertes Erscheinungsbild, aber keine wesentliche Weiterentwicklung. Bedeutendere Leistungen kamen zuerst wieder auf Gebieten zustande, in denen sich eine bürgerliche Kunstauffas sung unmittelbarer artikulieren konnte als in der Architektur, in der Malerei und in der Literatur. Die deutliche Zäsur in der Entwicklung der Dresdner Architektur war nicht durch stilistische Veränderungen, sondern durch äußere Umstände bedingt. Mit dem Ende des Siebenjährigen Krieges und dem noch im selben Jahre unmittelbar aufeinander folgenden Ableben Augusts III. und des Grafen Brühl war die augusteische Zeit und eine Epoche sächsischer Geschichte zu Ende gegangen. Ein Jahr darauf mußte der Oberlandbaumeister Julius Heinrich Schwarze, der noch un ter August dem Starken seine Laufbahn im Bauamt begonnen hatte und der 1752 Knöffels Nachfolger geworden war, sein Amt infolge eines Augenleidens aufgeben. Schwarze war neben Knöffel der be deutendste Dresdner Architekt der Jahrhundertmitte, dessen Fähigkeiten jedoch unausgeschöpft blieben, da seine Amtszeit als Oberlandbaumeister weitgehend in die Kriegsjahre fiel.