66 Ortrun Landmann Musik und Oper — Betrachtungen zu allgemeinen Entwicklungen und zur Dresdener Situation 1765-1800 1 Die Dresdener Musikgeschichte ist für die hier zur Debatte stehende Epoche noch sehr ungenügend erschlossen und dementsprechend schwer einzuschätzen. Moritz Fürstenaus Standardwerk „Zur Geschichte der Musik und des Theaters am Hofe zu Dresden“, 1861 und 1862 veröffentlicht, bricht mit dem Jahre 1756 ab; der Autor hat eine geplante Fortsetzung nicht mehr vollenden können. Wei terführende zusammenhängende Darstellungen ähnlichen Charakters und ähnlicher Qualität von späterer Hand gibt es nicht. Der einzige Autor, der prädestiniert gewesen wäre, sie vorzulegen - Ri chard Engländer -, mußte 1933 emigrieren, mitten aus der Arbeit heraus. So sieht sich heute jeder, der sich der Dresdener Musikgeschichte nach 1756 zuwendet, einer Fülle von Phänomenen gegen über, deren Existenz bekannt, zu denen der nähere Zugang jedoch sehr mühsam ist. Relativ leicht fällt die Orientierung bei den Fakten des höfischen Musiklebens, weil das Staatsarchiv Dresden reiches Aktenmaterial bietet und die Sächsische Landesbibliothek den Hauptteil des Musi kalienschatzes bewahrt, der den damaligen Aufführungen zugrunde lag. Schwieriger wird es, wenn man sich ein Bild z. B. vom Niveau dieser Aufführungen verschaffen will. Erst recht aber gerät man in Verlegenheit bei dem Versuch, die nichthöfischen Zweige damaliger musikalischer Aktivitäten überblicken, darstellen und beurteilen zu wollen. Der städtisch-kirchliche Bereich wurde weiterhin vom Kreuzkantorat beherrscht, assistiert, wie in den deutschen Städten üblich, von den Stadtpfei fern. Aber hinsichtlich gräflicher oder sonst adeliger Privatkapellen, wie sie bis 1756 nachzuweisen, wenngleich dokumentarisch kaum faßbar sind, liegt uns für unseren Zeitraum nichts Konkretes vor. Zum öffentlichen Konzertwesen, zur Entwicklung der adeligen wie der bürgerlichen Hausmusik, zur Herausbildung von Vereinen, zur Musikpflege schließlich der deutschen Schauspieltruppen - der kurfürstlich-privilegierten wie der wandernden - fehlen uns vollends ausführliche Untersuchungen mit verläßlichen Ergebnissen. Blicken wir nach den Quellen, so gewähren Aufschlüsse wohl in erster Linie zeitgenössische Briefe und Memoiren, und zwar aus der Feder sowohl von Dresdenern als auch von solchen Fremden, die als Reisende ihre Eindrücke über Dresden niedergeschrieben und veröffentlicht haben. In ersterer Kategorie ganz vom dürften die Briefe und Schriften Christian Gottfried Körners stehen; jedoch sind möglicherweise äußerst wichtige weitere Quellen bis heute noch unentdeckt. - Die Dresdener Me moiren und dazu die Reiseeindrücke der Fremden: wieviel an Objektivität und überhaupt an Ver bindlichkeit dürfen wir ihnen zuerkennen? Sind etwa Wolfgang Amadeus Mozarts abfällige Bemer kungen über seinen Dresden-Aufenthalt von 1789 in den (ganz offenbar unvollständig erhaltenen Briefen an seine Frau Constanze^ als sachliche Reflexion zu betrachten? Man sollte sich gegen ein „ja“ auf diese Frage wehren. Mozart war bekannt für seine spitze Zunge, die er sich angesichts seines über legenen Könnens einerseits leisten durfte, die ihm andererseits aber zweifellos auch schiefe und unge rechte Urteile eingab. Künstlerische Genies sind häufig Egozentriker, und Mozart war es gewiß.