Wer ein Buch über das Fotografieren von Menschen und über ihr Porträt schreibt, muß einen Standpunkt haben; und er muß ihn auch vertreten können. Wie aber findet er diesen Standpunkt? Man steht vor der Wahl, sich mit dem, was man sagen zu können glaubt, „entweder" an die Fach= leute — „oder" an die Liebhaberfotografen zu wenden. Es ist ein Scheideweg 1 Nein — es war ein Scheideweg! Denn die Porträtfotografie hat sich bis vor kurzem streng in die Atelieraufnahme des Berufsmannes und in das sogenannte geknipste Bild des Amateurs geschieden. Was aber hat sich inzwischen geändert? Die Domäne des modernen Porträts ist heute von niemandem mehr gepachtet. Der Mensch und seine immer wieder interessierende Dar= Stellung hat sich die Presse, die Mode, die Werbung, die Industrie, die Liebhaberfotografie und viele andere Gebiete erobert. Es gibt keine Porträts schlechthin mehr, denn der Kreis ist größer geworden, weil die Fotografie lebendiger geworden ist. Wer unter den geschilderten Umständen heute den Menschen und sein vielfältiges Abbild unter die Lupe nimmt, muß also auch diesen geänderten Umständen Rechnung tragen. Er kann weder für den Berufs= oder Werbemann, für den Bildberichterstatter, Modefoto= grafen oder Amateur eine Lanze brechen, denn alle ziehen, was die Lichtbildkunst anlangt, an dem gleichen Strang. Es geht ausschließlich nur um die Darstellung des Menschen; je echter, wahrhaftiger und lebendiger, desto besser! Das Ziel dieses Buches ist deshalb auch weiter gesteckt. Es beschränkt sich nicht auf das konventionelle Porträt im überlieferten Sinn, das im Rahmen auf dem Klavier steht; denn während dieses bis vor kurzem nur im Atelier entstand, kommen die Bilder von heute von überall her — aus jedem Milieu und aus jeder Lebenslage. Somit kann es nicht verwundern, wenn ein Autor, der selbst nicht ausgesprochener Porträtist, sondern Bildjournalist ist, sich dazu ent= schloß, seine Erfahrungen in einem Buch, das das Gebiet der Dar= Stellung des Menschen umfaßt, niederzulegen. Der Titel dieses Buches ist demnach nicht zu umschreiben: „Wie imitiere ich ein Gemälde?". Das Buch gibt Antwort auf die Frage: „Wer bist Du, wie faß ich Dich, wie stelle ich Dich dar?"