16 Gerald Kolditz Reformbestrebungen und demokratische Bewegungen an der Kreuzschule Mitte des 19. Jahrhunderts Dresden Mitte des 19. Jahrhunderts — das war eine Residenz- und Landeshauptstadt, die längst ihre spätmittelalterlichen Fesseln in Form ihrer Stadtbefestigung gesprengt hatte, sich in alle Himmelsrichtungen ausdehnte, und auf eine Bevölkerungszahl von 100 000 zusteuerte (1849 = 94 000 Ew.). Es war aber auch eine Stadt, in der die Industrialisierung im Gegensatz zu anderen Regionen Sachsens seit den dreißiger Jahren nur zaghaft voran schritt. Ein Beleg dafür mag der Betrieb von lediglich 10 Dampfmaschinen in Dresden gegenüber knapp 200 im gesamten Königreich um 1846 sein". Von wenigen Ausnahmen wie dem Dampfkesselbau in Übigau abgesehen, beschränkte sich die gewerbliche Produk tion auf die Leicht- und Lebensmittelindustrie wie Stroh- und Papierwarenherstellung, Zuckersiederei, Schokoladenfabrikation, war oft noch an den höfischen Bedarf gebunden und mehr von handwerklicher als von maschineller Arbeit geprägt. In die Mitte des 19. Jahrhunderts fällt auch die Anlage der Bürgerwiese (1842-1869) unter maßgeblicher Mitwirkung von Peter Joseph Lenne, der Bau der Marienbrücke (1846—1852) als zweiter Dresdner Elbbrücke und Eisenbahnverbindung zwischen Böhmi schem und Leipziger Bahnhof, entstanden die Sempersche Gemäldegalerie (1847-1854) und zahlreiche bürgerliche Palais und Villenbauten in vorrangig offener Bauweise, welche die durch Formen der Renaissance gekennzeichnete »Dresdner Schule« in der Architektur begründeten. Wegen seiner schönen Bauten und Denkmäler, seiner Parks und Gärten, seiner reichen Sammlungen einschließlich der Königlichen Bibliothek, des Theater- und Musiklebens sowie der idyllischen Umgebung blieb Dresden auch weiter Anziehungs punkt für Besucher aus nah und fern. Viele berühmte Persönlichkeiten besuchten die Stadt, lebten hier für längere Zeit oder wählten Dresden als Alterssitz. Unmittelbar vor den Revolutionsjahren 1848/49 wirkten u. a. Richard Wagner, Robert Schumann, Karl Gutzkow, Gottfried Semper, die Bildhauer Ernst Julius Hähnel und Ernst Rietschel, die Maler Bendemann, Hübner und Schnorr von Carolsfeld, Demokraten und Republikaner ' wie Eduard Devrient, August Röckel, Arnold Rüge, Michael Bakunin, Julius Fröbel sowie Kreuzschullehrer und Prinzenerzieher Hermann Köchly, von dem später noch die Rede sein wird, in Dresden. Sie prägten zwar das geistig-kulturelle Klima Dresdens entschei dend mit, konnten andererseits jedoch nicht den der Stadt nach wie vor anhaftenden Pro-