72 Erhard Frommhold Die Zeichnungen Lea Grundigs als Zeugnis gegen die Barbarei Zur Erinnerung an den 90. Geburtstag der Künstlerin am 23.März 1996 1963 besinnt sich Ernst Bloch in seinem Artikel »Die sogenannte Judenfrage«: »Wie stand denn dergleichen in der Weimarer Republik, selbst im Kaiserreich, wo die »Gleichberechtigung keines wegs vollendet war? ... Dann aber auch, was die geistige Gesellschaft angeht, so gab es in den weiten Kreisen um bildende Kunst, Musik, Theater, obschon nicht Universitätswissenschaft, kaum eine Entfaltung von Juden frage und nichts von betontem Philosemitismus«. Unter diesem Tatbestand steht das gesamte Frühwerk der Lea Langer - und noch das der seit 1928 verheirateten Lea Grundig. Auch in Dresden selbst stand jene »Frage«, seit der Professur Eduard Bendemanns 1838 an der Königlichen Kunstakademie eventuell außerhalb der Künste, wenn sie überhaupt aufgeworfen wurde: Weder die Kunstgeschichte zur deutschen Malerei des 19. Jahrhunderts bei Cornelius Gurlitt (1899) noch bei Richard Hamann (1913). Erst das Jahr 1933 und mit ihm die Herrschaft des deutschen Faschismus erhob die »Juden frage« zu einem Thema als die wirkliche Tragödie von Millionen Menschen. Lea Grundig wurde von ihr, wie alle, ganz allgemein und ganz individuell betroffen. Sie hatte längst ihre Herkunft aus einer jüdischen Familie und deren konfessionelle Erziehung abgestreift. Es war die übliche Emanzipation eines reifenden jungen Menschen aus den Familienbanden, als Künstlerin auch die Integration in die Dresdner Zeichenkunst und die in den Geist eines eigen artigen Stils, der zwischen krassem Verismus und eigener sozialer Gleichsetzung mit den pro letarischen Modellen zu finden war. Familie und Konventionen standen einfach Lea Grundigs Neigungen, die sich zuerst als Begabung zur Zeichnerin beweisen sollten, entgegen. Das damit gefundene andere Milieu, die linke Boheme, dann die Organisationsformen der Kommunisti schen Partei, und der in dieser Partei herrschende Geist befreit sie erst einmal vollends von der »sogenannten Judenfrage«. Lea Grundig hat diese Entfremdung in ihrer Autobiographie »Gesichte und Geschichte« 1938 genügend beschrieben, und obgleich sie alle Stationen jüdischer Gebräuche durchstehen mußte, von der strengen Orthodoxie des Vaters Moses Langer bis hin zu zionistischen Idealen in der Jugend, war sie doch bald frei von alledem. Man sollte zuerst die Kunst und dann die marxisti sche Weltanschauung dafür verantwortlich machen. Lea Grundig hat es selbst für sich und für die anderen auf eine Formel gebracht: »Sie hatten den Talmud gegen Marx eingetauscht«. Das traf auch auf den größten Teil ihrer engeren Verwandtschaft zu, auf ihre Vettern aus den Dresd ner Familien Zimmering und Goldhammer. Aber mit dieser Feststellung steigt auch ihr Stolz