In der Alten Jacobstraße, in dem Hause, wo das damals berühmteste Ballokal Berlins, das „Orpheum“, war, lernte ich. Zum Frühstück mußte ich Bier holen, das konnten wir von den Kellnern des Orpheums, die eine eigene Kantine hatten und vormittags beim Putzen des Fußbodens, der Spiegel usw. waren, bekommen. Da lagen noch besoffene Männer’und Weiber m den Nischen und Logen: die Glücklichen der Gründerzeit die die Ernte der Kriegserfolge von 70/71 umsetzten. Ich kam mal dazu,’wie sich die Kellner eine bewußtlose, besoffene, dicke Hure über den Stuhl gehängt hatten und auf deren entblößtem Hintern einen Dauerskat kloppten. Da regte sich in mir zum erstenmal der Wunsch, Leben zeichnen zu können, Gesehenes aus der Erinnerung wiederzugeben. War doch die Schule und die Lehre nur ein Abzeichnen von gegebenen Vorlagen und Photographien. Der alte Professor Hosemann, zu dem ich in die Kunst schule ging, und der mir auch seine kleinen p Aquarelle und Zeichnungen zum Abzeichnen gab, / \ sagte auch: „Gehen Sie lieber auf die Straße, ins Freie, beobachten Sie selbst, das ist besser als Nach machen. Was Sie auch werden — im Leben können Sie es immer gebrauchen. Ohne zeichnen zu können sollte kein denkender Mensch sein.“ Ich lernte die Hogarth-Stiche kennen und verglich den Inhalt der Bilder mit dem Leben, das ich um mich sah. Ich ließ keine Stunde unbenutzt, beob achtete und strichelte drauf los. Ich dachte zurück an die Kinderzeit, an häßliche und heitere Erleb nisse, und versuchte diese aufs Papier zu bannen. Nach einigen Jahren ließ die Öldruck-Industrie nach, die Wohnungen waren behängt, die Massen bilder wurden auf andere Art hergestellt, so ging ich denn zu Zinkographie, Lichtdruck, Kupfer ätzung und anderen Verfahren über. Überall hat mir mein bißchen „Mehrkönnen“ Vorteile gebracht, ich stellte in den Kunstausstellungen aus, gab Beiträge für Zeitschriften, Sammler kauften — und das kam alles meiner Berufs- Alr'nT t lS 2Um Jahr 1907 da kam ich wirklich zu meinem Schicksal. Als ÖOjahriger aus einem Betrieb entlassen, dem ich lange Jahre treu ge /ent, dem ich als Kuh das Vermögen vermehrt hatte, mußte ich igeren jungen Kräften weichen — da kam ich zu dem Entschluß, seinst „nen Laden aufzumachen und von meiner Zeichnerei Bilder zu gestalten, also dem Liebhngswunsch, den ich seit Jahren hegte, zu leben. an sagte nur. Warum nicht schon früher? Warum nicht schon früher! Je zt weiß ich was einem die Parzen nicht in die Wiege gelegt, kann beim besten Willen der Hintern sich nicht ersitzen - gequllt hatte ich mich genug, etwas zu erreichen. Hätte aber wohl die Finger von der hehren Kunst sollen weglassen — und das ist mein Schicksal I> £ 481