DUNKEL AMSTERDAM Von KORT KITTER V erliebte Käfer klopfen sich zueinander, und auch die Glühwürmchen leuchten nicht uns, durch ihr Licht finden sie zur Liebe. Der Mensch ist so klug, sollte er davon etwas gelernt haben? Nachts an den Grachten, wo die Häuser einander über die Schulter gucken, neugierig, wie ganz alte Wesen sind, leuchtet es auf an den hochgeschobenen Fenstern. Leuchtet auf wie im Märchen, wo der Spuk mit dem Traum ver schwindet und die Häuser im Taglicht so blaß und ohne Leben dastehen, als ob sich in ihnen nie etwas Absonderliches begeben hätte und abspielen wird. Und an den Fenstern und in den hell erleuchteten bunten Räumen zeigen sich geputzte, geschminkte Frauen. Dieser Teil von Amsterdam mit seinen düsteren Freuden häusern heißt „donker Amsterdam“. „Bolle Piet“ (also: dicker Peter), ein stämmiger, wortkarger Holländer Mitte der Zwanzig, mit einem runden, hübschen Gesicht und einer uns unbekannten Vergangenheit, bietet sich an und wird unser Führer. „Vielleicht werde ich Euch fressen,“ sagt der riesige Rachen der alten Zugbrücke, „vielleicht auch laß ich Euch wieder heraus, vor allem aber macht, daß Ihr reinkommt — beeilt Euch.“ Schon sind wir drin. Erste Blitzlichtaufnahme, die Augen schmerzen, der Photograph brüllt, weil er sich verbrannt hat, und schon gibt es Krach. „Das darf nicht auf genommen werden,“ kreischt eine Frau, „das erlaube ich nicht.“ Wir erklären, daß es fürs Ausland ist. „Ja, den Schmus kennen wir,“ sagt drohend ein Mann im Schatten neben uns, „neulich haben sie das auch gesagt, und den nächsten Abend hatte ich die Polizei auf dem Hals.“ Die Zahl der Zuschauer wächst, der Kreis wird enger, die Situation ungemütlich. „Weiter“, sagt Bolle Piet. Zum Einpacken nehmen wir uns nicht erst die Zeit. Von jenseits der Gracht ruft uns ein Mädchen ein paar freche Worte zu, Lachen anderer Frauen antwortet ihm. Mit Blicken, Worten und Geberden lockt man uns, wo wir vorbeikommen. Im Erdgeschoß des Hauses, gegenüber der Kirche — eine Kirche gibt es hier auch, eine besonders schöne sogar aus dem 17. Jahrhundert — singt eine Frau das Lied des bescheidenen Mannes: „Nur eine Nacht sollst du mir gehören ...“ Von weither eine Walzerweise. Dahin zieht es uns, und nun betreten wir eine „vergunning“, eine Seemannskneipe. Langgestreckter, rechteckiger Raum. Am Fenster, erhöht, sitzt die Musik, ein Mann mit einem Schifferklavier; daneben der kleine Stand für den Aus schank. An jeder Längswand, fest mit ihr verbunden, eine lange Holzbank, darüber ein schmales Brett, auf das wir wie alle Gäste unser Bier stellen — das ist das ganze Mobiliar. An der Wand klebt eine Pappe mit dem Spruch: By dans, toneelspel, muziek, vrouwen en wyn, zullen alle zorgen vergeten zyn. (Bei Tanz, Spiel, Musik, Frauen und Wein sollen alle Sorgen vergessen sein) daneben ein Pappschild: Singen von der Polizei strengstens verboten! 482