[aus Anlass seiner fünfzigjährigen Tätigkeit als Mitarbeiter und Herausgeber des Thieme-Becker, Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart]
Tirols Beitrag zum Thieme-Becker Von Josef Ringler, Innsbruck Wenn im Folgenden vom Beitrag Tirols zum Thieme-Becker die Rede ist, mag für den mit den politischen Wandlungen des Landes Tirol nicht vertrauten Leser zuerst der historische Begriff Tirol näher umschrieben werden: Nicht das heutige österreichische Bundesland Tirol, jenes durch den Frieden von Saint Germain verstümmelte Rest gebilde des alten Landes Tirol ist damit gemeint, sondern das alte Land im Gebirge, die gefürstete Grafschaft Tirol, wie sie Herzog Meinhard II. (f 1295), der Stiefvater Kon- radins des letzten Hohenstaufen, in jahrelangen zielstrebigen Kämpfen aus den alten Grafschaften in Nord- und Südtirol zusammengeschmiedet hat. Der Kristallisations kern des Landes war bereits durch die 1027 erfolgte Schenkung Kaiser Konrads II. an die Bischöfe von Brixen und Trient, ihre Erhebung zu Reichsfürsten und die Verleihung der Grafschaftsrechte in ihren bischöflichen Territorien gegeben. Nach dem Aussterben des tirolischen Fürstenhauses übergab Margaretha Maultasch das Land an den Habs burger Rudolf IV. den Stifter. Von Herzog Siegmund dem Münzreichen erwarb der deutsche König und nachmalige Kaiser Maximilian Tirol, der durch die Erwerbung des Pustertales (nach dem Aussterben des Görzer Grafengeschlechtes im Jahre 1500) und durch die anno 1505 erfolgte Gewinnung der ehemals bayrischen Gerichte Rattenberg. Kitzbühel und Kufstein den gebietsmäßigen Ausbau des Landes vollzog, wie es dann, abgesehen von kurzlebigen ^ eränderungen in napoleonischer Zeit, bis 1919 in diesem Umfange fortbestand. Ein in seinem Kern nahezu 900jähriges politisches Gebilde wurde in diesem für Tirol so unheilvollen Jahre zertrümmert und damit ein großer politischer und kultureller Strukturwandel eingeleitet, der noch nicht zum Abschluß gekommen ist und der auch das künstlerische Antlitz des südlichen Landesteils in Zukunft verändern wird. Kirchlich— und auch das ist für die künstlerischen Belange von großer Wichtigkeit — war Tirol auf die Diözesen Brixen, Trient, Salzburg, Chur und Augsburg aufgeteilt. Als wichtigstes Paßland von Deutschland nach Italien war es immer Einflüssen vom Süden wie vom Norden geöffnet. Im südlichen Teil des Landes, im Hochstifte Trient, herrschte 25