Johann Adam Rcinken und Johann Sebastian Bach: Zum Kontext des Bachschen Frühwerks Von ChristophWolff (Cambridge, MA) A| Vor mehr als hundert Jahren hat Philipp Spitta sich darum bemüht, die musi kalische Herkunft des jungen Bach im Zusammenhang einer geschichtlichen Einordnung des von ihm als Frühwerk eingestuften Kompositionsrepertoires ins rechte Licht zu rücken. Dabei gelang es ihm, nicht nur eine Vielzahl wesent licher und bis heute gültiger Erkenntnisse biographischer wie stilkritischer Art vorzulegen, sondern darüber hinaus einen exemplarischen, differenzierten und in seinen Grundzügen unüberholten Abriß der musikgeschichtlichen Situation im Deutschland des ausgehenden 17. Jahrhunderts zu bieten. 1 Zwar ist es der Bach-Forschung seither und namentlich dank einiger Arbeiten aus den letzten drei Jahrzehnten gelungen, das von Spitta entworfene Bild des jungen Kom ponisten Bach weiter zu konkretisieren, um neue Aspekte zu ergänzen und auch verschiedentlich in Einzelheiten zu modifizieren. 2 Dennoch scheint es, daß für keine der Bachschen Schaffensperioden ein derart umfangreicher, angesichts neuester Forschungen eher anwachsender als sich verkleinernder Katalog un gelöster Probleme existiert wie für das Frühwerk. 3 Die Hauptfragen kreisen immer wieder um die Fixierung eines authentischen Werkbestandes, die Chro nologie der Kompositionen und den mittel- wie unmittelbaren musikalischen Einflußbereich, dem der junge Bach unterlag. Gerade diese Fragen aber grei fen so eng ineinander, daß sie kaum getrennt behandelt werden können. Über dies ergibt sich die Notwendigkeit der Zusammenschau auch schon aus dem allenthalben empfindlich spürbaren Mangel an festen biographischen und werk geschichtlichen Daten. I Bach hat allem Anschein nach außer seinem Ohrdrufer Ziehbruder Johann Christoph, „unter desselben Anführung“ er nach den Worten des Nekrologes 4 „den Grund zum Clavierspielen“ legte, keine eigentlichen Lehrmeister gehabt. Allerdings gehören die drei großen norddeutschen Organisten, Johann Adam 1 Spitta I, Kapitel IV-VII. 2 Vgl. die zusammenfassende Darstellung von F. Blume, Der junge Bach, Wolfenbüttel und Zürich 1967 (Jahresgabe 1967 der Internationalen Bach-Gesellschaft Schaff hausen); G. Fock, Der junge Bach in Lüneburg, 1700 bis 1701, Hamburg 1950; E. Krüger, Stili stische Untersuchungen z“ ausgewählten frühen Klavierfugen Johann Sebastian Bachs, Hamburg 1970 (Hamburger Beiträge zur Musikwissenschaft. 2.); H. Eichberg, Unechtes unter Johann Sebastian Bachs Klavierwerken, in: BJ 1975, S. 7-49; P. Williams, The Organ Music of J. S. Bach, 3 Bde., Cambridge 1980-1984. 3 Vgl. die Diskussion bei C. Wolff, Probleme und Neuansätze der Bach-Biographik, in : Bacbforscbung und Bachinterpretation heute. Bericht über das Bachfest-Symposium 1978 der Philipps-Universität Marburg, hrsg. von R. Brinkmann, Kassel etc. 1981, S. 21-31. / * Von C. P. E. Bach und J. F. Agricola 1750 verfaßt und 1754 gedruckt; Dok III, S. 81.