Georg Christian Lehms, ein Textdichter Johann Sebastian Bachs n Lehms wohl von Neumeister übernommen, allerdings einigemale auch in anderswo unbekannte Kurzformen gegossen. Die neuere „gemischte“Art mit gelegentlich eingeflochtenen Bibelstellen und Choralstrophen scheint Lehms gleichzeitig mit Neumeister entwickelt 9 und in mannigfachen Varian ten durchgeführt zu haben. Es gibt ja stets solche Lösungen von Problemen, die über den einzelnen hinweg dem „Zeitgeist“ gehorchen. Auch Salomon Franck hat in jenen Jahren mit den verschiedensten Typen experimentiert. 10 Ein Vergleich mit den Texten des etwas später auftretenden Henrici 11 läßt so viele Ähnlichkeiten mit den Lehmsschen Dichtungsarten erkennen, daß die unmittelbare Beeinflussung Henrici-Picanders durch Lehms viel Wahr scheinlichkeit für sich hat. Den Aufbau der Arien, meist in der Dacapoform, weiß Lehms mit Sechs oder Siebenzeilern so zu gliedern, daß er Kreuzreime mit schlichten wech seln läßt. Als gewandter Dichter zeigt sich Lehms hier durch stets neue Kombinationen. Häufig biegt er die Schlußzeile oder eine der Mitte zum Anfang zurück, so daß der Komponist die Wahl hat zwischen zwei- oder dreiteiligen Formen. Auch läßt der Dichter einigemale die Arien durch ein Rezitativ unterbrechen oder gibt als reimlose „Waise“ ein Bibelwort hinzu. Er bevorzugt im ganzen trochäische und jambische Verse - diese seltener als Alexandriner - und bringt daktylische wie üblich an den Schlüssen als Ausdruck der Freude. Mit ganz geringen Ausnahmen beim Umschlag der Stimmung wechselt er die Metren nicht innerhalb einer Arie oder eines Rezitativs, wie das später Henrici so häufig tat, sondern begründet hier eine Darmstädter Tradition, die Konrad Lichtenberg aufhahm, der nachdrück lich in der Vorrede zu seinem Jahrgang 1726 (Poetischer Versuch) 12 angibt: „Dann, daß ich alle Reim-Arten {Carminum genera) in einer Arie durcheinander werffen und anbringen solte, hat mir niemahlen gef allen. Die Reime sind bei Lehms ausnahmslos konsonantisch rein, da er ausdrück lich tadelt: 13 „Nur eines wird mein Vaterland, das geliebte Schlesien, nicht appro- biren, nemlich daß die beyden Wörter Erweichen und Beugen miteinander verbun den seyn; welches aber die Sächsische Aussprache vor untadelhaft erkennet...“, und er ärgert sich, daß die Poeten „reden und schreiben, wie ihnen der Schnabel ge wachsen ist“. Vokalisch rein sind allerdings auch seine Reime nicht, so daß sich etwa „Sünden“ mit „finden“ und „siehet“ mit „bemühet“ gut vertragen soll. Selten apokopiert Lehms, wie bei „beschütz“ und „Kirch“. Im Wechsel männlicher und weiblicher Reime bevorzugt Lehms drei- und 9 MGG, Artikel Erdmann Neumeister (L. F. Tagliavini). 10 A. Dürr, Über Kantatenformen in den geistlichen Dichtungen Salomon Francks, in: Die Musik forschung, Jg. 3, 1950, und MGG, Artikel Salomon Franck (A. Dürr). 11 MGG, Artikel Christian Friedrich Henrici (L. F. Tagliavini) und: F. Zander, Die Dichter der Kantatentexte Johann Sebastian Bachs, Untersuchungen %u ihrer Bestimmung, in: BJ 1968. 12 Zitiert nach F. Noack, Christoph Graupner als Kirchenkomponist, Leipzig 1926, 2. Aufl. Wiesbaden i960, S. 11. Original verbrannt. 13 Deutschlands galante Poetinnen, S. 150.