Johann Sebaftian Bache „Äctue tragicuö" (BWV 106) Ein Beitrag zu seiner Entstehungsgeschichte Von Hermann Schmalfuß (Bad Berka) Im Kantatenschaffen J. S. Bachs nehmen die für besondere Anlässe kompo nierten Werke eine Sonderstellung ein. War es der Forschung möglich, in vielen Fällen - besonders bei Fest- und Huldigungskantaten - Bestimmung und Entstehungszeit genau zu ermitteln, so bestehen bei der Trauerkan tate „Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit“, dem sogenannten „Actus tragicus“ (BWV 106), noch Unklarheiten über Zeit und Anlaß ihrer Entstehung. Die Bach-Literatur bietet eine Vielzahl verschiedener Datierungen, wobei hier auf einige eingegangen werden soll. Philipp Spitta (I, 45 iff.) datiert das Werk in Bachs Weimarer Zeit. Aus der Verwendung der Choralstrophe „Mit Fried und Freud ich fahr dahin“ fol gert er, daß der Verstorbene gleich Simeon ein älterer Mann gewesen sein dürfte, und nimmt, da in der herzoglichen Familie zu jener Zeit kein der artiger Trauerfall zu verzeichnen ist, als wahrscheinlichsten Anlaß zur Komposition des Actus tragicus den Tod des Rektors Philipp Großgebauer im Jahre 1711 an. Die Mutmaßungen Spittas werden in der Folgezeit von Albert Schweitzer 1 , Arnold Schering 2 und vielen andern übernommen. Andre Pirro 3 dagegen nimmt als Anlaß zur Entstehung des Werkes den Tod des Tobias Lämmerhirt, eines Onkels Sebastian Bachs, an, der am 10. August 1707 in Erfurt gestorben war. Auch dieser Datierung schließen sich, zumal seit Hugo Lämmerhirt Pirros Gründe mit weiteren Argumenten unterstützt hatte 4 , zahlreiche Forscher an, so insbesondere Charles Sanford Terry 5 , Friedrich Blume 6 und Alfred Dürr 7 . Andere Jahre, jedoch ohne ausführliche Begründung, nennen Wilhelm Rust 8 : 1708, Philipp Wolfrum 9 : 1712, Rudolf Steglich 10 : 1710. Wie man sieht, wird die Frage, ob Bach diese Kantate in Arnstadt, Mühl hausen oder Weimar geschrieben hat, von der bisherigen Forschung keines wegs einheitlich beantwortet. Ein Vermerk aus Bachs eigener Hand ist uns nicht überliefert, so daß nach anderen urkundlichen Belegen gesucht wer den muß. 1 Johann Sebastian Bach, Leipzig 1908. 2 Im Vorwort der Eulenburg-Partiturausgabe, wiederabgedruckt in: Über Kantaten Johann Sebastian Bachs, Leipzig 1942. 3 Bach. Sein Leben und seine Werke. Deutsche Ausgabe von B. Engelke, Berlin 1910. 4 Bachs Mutter und ihre Sippe, in: BJ 1925, S. ioiff. 5 Johann Sebastian Bach. Deutsch von A. Klengel, Leipzig (1929). 6 MGG I, Sp. 969. 7 Studien über die frühen Kantaten J. S. Bachs, Leipzig 1951. 8 Im Revisionsbericht BG 23. 9 Johann Sebastian Bach II, Leipzig 1910. 10 Johann Sebastian Bach, Potsdam (1935).