20 Werner Neu mann mittags 2 Uhr „nebst seiner Familie auf 2 Kutschen“ eintraf, nachdem schon ,,£» Mittage ...4. Wagen mit Haus-Raht beladen von Cöthen allhier“ angekommen waren, bezog er „die in der Thomas-Schule neu renovirte Wohnung‘ 2 und wurde damit Bewohner jenes marktplatzähnlichen Häuserkomplexes, der seit al- tersher, seiner einstigen Zweckbestimmung gemäß, den Namen „Thomas kirchhof“ trug. 3 Dieser schmale, etwa Bo m lange und 30 m breite Platz wurde einerseits vom Kirchen- und Schulgebäude, andererseits von einer geschlossenen Front von sechs Bürgerhäusern begrenzt und öffnete sich lediglich im Osten und Südosten zum Markt- bzw. Pleißenburgviertel hin, während im Westen das enge, noch immer bewachte Thomaspförtchen die Bewohner durch die Stadtmauer in die gartengeschmückte Vorlandschaft gelangen ließ. In diesem engen Raum, der die Anknüpfung nachbarlicher Beziehungen begünstigte, hat sich das Alltagsleben der Kantorenfamilie auf lange Jahre hin abgespielt. Durch archivalische Belege lassen sich die Beziehungen zu wenigstens einem der sechs Nachbarhäuser in wünschenswerter Weise klarlegen. Das der Giebelseite der alten Thomasschule, und damit der Kantorwohnung nahe gelegene, nur durch eine schmale Gasse getrennte Gebäude, das die alte Häuserzählnummer 155 trug 4 (seit 1839: Thomaskirchhof Nr. 16), gehörte dem reichen Kauf- und Handelsherren Georg Heinrich Bose (1682-173 0 5 > einem Angehörigen der weitverbreiteten und einflußreichen Familie gleichen Namens. 6 Nachdem er im Jahre 1704 das Bürgerrecht erworben hatte, war 2 Dok II, 158. 3 Zu ihm gehörte auch das andere (nördliche) Vorgelände der Thomaskirche, das jedoch den kirchenbehördlichen Wohn- und Dienstgebäuden Vorbehalten war. 4 Diese durch das ganze Stadtgebiet laufende Durchnumerierung (1—765) war im Jahre 1793 eingeführt worden. 6 Sein Vater, Caspar Bose (1645—1700), und dessen Bruder, Georg Bose (1650—1700), beides berühmte Handels- und Ratsherren, hatten kurz vor der Jahrhundertwende zwei der schönsten Gärten dem Stadtbilde eingefügt: den im Volksmunde Großbosischen genannten vor dem Grimmischen Thor und den K/einbosischen vor dem Ranstätter Thor. Mit seinem Bruder Caspar Bose (1672—1730) betrieb Georg Heinrich Bose seit 1721 eine der drei Leipziger Gold- und Silberwarenfabriken: einen Produktionszweig, der 1588 von einem religionsvertriebenen Holländer, dem Handelsmann Heinrich von Ryssel aus Maastricht, nach Leipzig verpflanzt worden war. Die wirtschaftspolitische Bedeu tung dieser (erst durch den Siebenjährigen Krieg ruinierten) Bosischen Fabrikation erhellt u. a. aus der Tatsache, daß der Herzog Christian von Sachsen-Weißenfels — der selbe, zu dessen Geburtstag Bach um 1713 die Jagdkantate (BWV 208) aufgeführt hatte und dessen Hofkapellmeistertitel er seit 1729 trug — im Jahre 1732 mit 11788 Talern Schulden bei Böses zu Buche stand, eine Summe, die dann erst durch bescheidene Teil abzahlungen vermindert wurde. 6 Ein PR0GRAA1MA FUNEBR1S des Leipziger Universitätsrektors zum Tode des Bruders Johann Jacob Bose (28.9.1741) würdigt das Geschlecht Bose mit folgenden Worten: „Inter famitias Lipsienses, quae antiquitate pariter acproventu virorum insignium, et de ecclesia puriore, de republica litteraria atqne civili praeclare meritorum, cum primis florent, gens Bosiana haud ultimum occupare locum nobis videtur“.