8 Bernhard Paumgartner und „descendit“, die in Halbtonschritten absinkende Quart als Ausdruck des Leidens, des Ermattens, des Sterbens, wie wir sie schon bei Carissimi, ja früher schon, in der musica riservata festhalten können, zu den Worten „passus et sepultus“ im „Crucifixus“ oder bei Nennung der Abgeschiede nen, die pastoralen Klänge bei der Darstellung des Weihnachtswunders im „Incarnatus“ usw. Solche „Simbola“ hat der kleine Mozart neben dem „Kontrapunkten“, wie er den gearbeiteten Stil nennt, fleißig und hochbegabt in sich aufgenommen. Wir finden überraschend gekonnte Beispiele solcher Art schon in frühen Arbeiten für die Kirche. Noch in seinem letzten Lebensjahre beruft sich Mozart in einem Gesuch um die Wiener Domkapellmeisterschaft auf seine gründliche, von Jugend auf gepflegte Kenntnis des Kirchenstils, die neben der selbstverständlichen Beherrschung der konventionellen „Kontra punkte“ auch das Wissen um jene geistigen Bausteine in sich schloß. Den „gearbeiteten Stil“, der seine nahe Verwandtschaft mit dem strengeren Concertato-Stil der Bolognesen und Venezianer Meister um 1700 niemals verleugnet, hat der kleine Mozart vorerst bei seinem Vater an der Hand des Gradus ad Varnassum von Johann Joseph Fux sorgfältig studiert. Fux (1660—1741), um eine Generation älter als Bach, ist die bedeutendste Musikererscheinung des österreichisch-salzburgischen Gebiets um die Wende vom 17. zum 18.Jahrhundert geblieben. Auch im nördlichen Deutschland respektiert, wie seine nicht unglückliche musikästhetische Fehde mit Matt he son beweist, blieb er als Theoretiker und Musikerzieher weit ins nächste Jahrhundert hinein nachwirkend. Durch das Gewicht, durch die unantastbare Solidität seines Schulwerks hat er die hohe Achtung vor dem kontrapunktischen Können über die galante Epoche hinweg bis in die Zeit der Wiener Klassik aufrechterhalten. Dadurch konnte sich die Qualität der österreichischen Durchschnittsmusik bis in die Zeiten der Romantik hinein eine respektable, ihrer Großmeister würdige Höhe be wahren. Die Bedeutung dieser pädagogischen Leistung kann ohne Zögern der großartigen Phalanx der Bach-Schüler an die Seite gestellt werden. Fuxens Kompositionen fehlt der hinreißende Schwung und die Tiefe, um sie irgendeinem Werke Bachs auch nur annähernd vergleichen zu können. Aber die „Arbeit“ ist immer untadelig, eine blanke Meisterarbeit; manches, wie die „Missa canonica“ von höchster technischer Qualität, die Fugen und Fugati präziser als die plastische und lebhafte, doch locker gefügte Kontra punktik der Italiener. Vielleicht hat Fux, eben durch jene beispielhafte Soli dität des Vorbildlichen, seinen nicht unwürdigen Anteil an der Forterhal tung der reich ausgestatteten Instrumentalmusik in der katholischen Kir che über dieselben Ernüchterungstendenzen hinweg, die zur selben Zeit die Grundfesten der Bachschen liturgischen Kunst unterhöhlt und zu Fall ge bracht haben. So konnte die katholische Kirchenmusik, als künstlerische Tatsache betrachtet, in jener Krise einer fortschreitenden Laicisation der liturgischen Tonkunst, der eben die evangelische Kirchenmusik erlegen war, zu imposanten Höhepunkten in der Wiener klassischen Epoche bis zu