Johann Scbaftian Bach, Mozart unö öle Wiener Klaffih Von Bernhard Paumgartner (Salzburg) In seiner „Farbenlehre“ stellt Goethe die Forderung, die Weltgeschichte müsse von Zeit zu Zeit umgeschrieben werden, nicht etwa daher, weil viel Geschehenes nachentdeckt würde, sondern weil neue Ansichten gegeben würden, weil der Genosse einer fortschreitenden Zeit auf Standpunkte ge führt werde, von welcher sich das Vergangene auf eine neue Weise über schauen und beurteilen ließe. Dieser moderne Gedanke möge mit gleicher Folgerichtigkeit als Leitge danke auch im Erkennen kulturell bedeutsamer Leistungen dienlich sein. In der Fülle und Vielgestaltigkeit verschmilzt das Zeitbedingte, das Resultat der produktiven Kraft und Arbeit von Generationen, mit dem genial Per sönlichen ihres Schöpfers zu einheitlich weiterwirkendem Ausdruck. Werte der Vergangenheit, im leuchtenden Gefäß individuellen Geistes umge schmolzen, werden gegenwärtig für künftige Zeiten. Das, was wir an sol chen Leistungen „ewig“ zu nennen pflegen, ist in Wahrheit ihre geistige und seelische Unerschöpflichkeit und Unabnützbarkeit. Jeder einzelnen Gene ration gutes Recht ist, das Übernommene im Licht der eigenen Geisteshal tung zu erleben. In unserem Falle gilt dies vor allem für den tönenden Fort bestand genialer Kompositionen im Wechsel des musikalischen Geschehens; in gleicher Weise aber für die Fortentwicklung der Musikforschung. Hier stehen wir freilich im Vorhof eines erregenden zeitgerechten Problems unserer Wissenschaft: Wie der von uns zu erforschende Raum musikge schichtlicher Existenz in der ständigen Bewegung seiner daseinsnotwendigen Entwicklung begriffen ist, so sind auch wir, die Betrachtenden, die Ge nießenden, die Forschenden, in demselben Raume beschlossen, in dieselbe Bewegung miteinbezogen. Wir selbst bewegen uns dazu im Getrieben werden unserer eigenpersönlichen Entwicklung irgendwie, aber unaufhör lich weiter, mit unserer Zeit oder, vermeintlich gegen sie, zwischen den einzig festen, unverrückbaren Grenzsteinen unseres Lebens: Geburt und Tod. Somit ist uns verwehrt, einen objektiv festen Punkt in der Betrach tung historischer Tatsachen zu gewinnen. Ein großes Werk, das wir als unveränderliche res facta ansehen mögen, ist wie ein Stern im Weltenraum unter unzähligen schönen Sternen. Es ist uns gegeben, seine scheinbare Bahn zu berechnen, seine Dimensionen, seine Kräfte zu messen, ihn in seine Elemente zu zerlegen. Je tiefer wir jedoch dringen, desto gewaltiger wird der ungelöste Restbestand, desto schmerzlicher die Erkenntnis seiner un faßbar unaufhaltsamen Bewegtheit, der Relativität alles Seienden und Ge wesenen, somit auch der von uns in Jahrtausenden erkämpften geistigen Werte. Als Johann Sebastian Bach heimgegangen war, schien ein Teil seines riesigen Werkes in dunkles Vergessensein hinabzusinken. Dies gilt vor allem für jenen Teil seines Lebenswerkes, dem er seine innigste Liebe und Ver-