Johann Sebastian Bach, Mozart und die Wiener Klassik 17 des „Confutatis“-Satzes und die Doppelfuge des „Kyrie“: hier scheint in der ewigen Bewegung des tönenden Himmels eine gleiche Konstellation aus der Unendlichkeit auf uns niederzustrahlen als wäre Bach, der alte Mei ster, in seiner ganzen Größe und Tiefe wiedererstanden. Beethoven hat Bach innig verehrt und allen als unerreichtes Vorbild ge priesen. Dennoch konnte er ihn nicht mehr mit derselben Unmittelbarkeit erleben wie Mozart. Zwischen ihm und Bach lag schon etwas, das ich die „historische Distanz“ nennen möchte. Wir erleben sie in noch stärkerem Maße, wenn wir Musik spielen, die unserer lebendigen Praxis bereits ent schwunden ist. Noch verknüpfte ein lebendiges Band das Schaffen Bachs und Mozarts: die konzertierende Barockmesse. In dieser wirkte die Motorik der linearen Polyphonie als schöpferisches Agens. Diese Poly- phonie als künstlerische Tatsache erschien jedem Barockmeister, gleich gültig welcher Konfession, als ein letzter, wahrer Abklang der göttlichen Weisheit und Harmonie, als eine letzte Abspiegelung der überirdischen Weltenmusik, der musica mundana in der irdischen, der musica humana. Dies galt auch für die profane Tonkunst der barocken Epoche, die in erster Linie eine Formkunst gewesen ist, die letzte von der Objektivität des Logos ihre Gesetze empfangende Kunst. So ist auch Bachs „zu Gottes Ehre“ zu verstehen, ein Motto, das die ganze, die unendliche Weite seines Schaffens umschreibt, ein Gedanke, der sein Leben bis zum letzten Hauch erfüllte. In ähnlicher geistiger Atmosphäre hat Mozart sein Lebenswerk be gonnen. Er entwanderte ihr wohl im Fortschreiten seiner Reife, ohne ihre tiefere Bedeutung je zu vergessen. Noch einmal scheint mir in jener Choral szene der „Zauberflöte“ der herrliche Einklang zwischen barocker und hochklassischer Stilhaltung tönende Wirklichkeit geworden, die unio mystica zweier so divergenter Gestaltungsprinzipien und Persönlichkeiten voll zogen, die unaufhörliche Bewegung der geistigen Evolutionen eine Stemen- stunde lang stillhaltend, der goldene Ring geschlossen. Beethovens Einlei tungswort zu seiner,,Missa solemnis“:,, Von Herren, möge es wieder Herren gehen“, grenzt sich mit Größe von der alten Bachschen Devise ab: Das tief menschliche, subjektiv bestimmte Grunderlebnis ist nun das wirkende, unmittelbar in bewegten Empfindungsausdruck umgesetzte Kraftzentrum des musikalischen Geschehens geworden, Menschenkündung an Stelle der Gotteskündung, unsagbar gesteigertes Erleben an Stelle des unver rückbaren dogmatischen Wortes. Der Meister des neuen Jahrhunderts, der den erlauchten Tempel seiner „Missa“ auf den hochstrebenden Pfeilern einer neuen, espressiven Polyphonie dem Himmel entgegenhob, baute ihn mit der gewaltigen Kraft, die der Bedrängtheit seines eigenen Herzens vul kanisch entsprang. Die Sterne begegnen sich in der Unendlichkeit. Sie leuchten uns vereint, den Vergänglichen, gleichwohl beglückt Teilhabenden an der Unerschöpflichkeit menschlichen Kulturschaffens.