Ländliche Sittlichkeit in Leipzigs Umgebung im ansgehenden Mittelalter. Von Lie. l)r. Markgraf, Pastor in Leipzig-R. Auf dem Gebiete einer Geschichte der Volkssittlichkeit ist bisher von protestantischer Seite 1 ) relativ wenig gearbeitet worden. Das mag zum guten Teile an den besonderen Schwierigkeiten der Materie liegen. Die archivalischen Quellen sind zu wenig ausgeschöpft; grosse Gesichtspunkte sind fast nicht beachtet worden. Ausserdem erfahren wir naturgemäss sehr wenig über die Durchschnittssittlichkeit der Zeiten, über das normale sittliche Verhalten und über die sitt liche Anschauung: Vom Selbstverständlichen schweigt man in der Kegel. Viel leichter ist es, über die Unsittlichkeit, über das nicht Normale — im Handeln und im Denken — zu schreiben. Hier fliessen die Quellen reichlicher. So liegt es in der Natur der gegebenen Verhältnisse, am Inhalte der Geschichtsquellen, wenn auch im folgenden überwiegend Unsittlichkeit geschildert wird. Die Zeit, mit der wir uns beschäftigen wollen, verdient besonderes Interesse. Von verschiedenen Seiten ist bittere Klage darüber geführt worden, dass die Keformation einen Verfall der Sittlichkeit herbeigeführt habe. Und zum Teil hat man gewiss recht. Luthers Betonung von Köm. 3,28 hat zunächst bei Vielen zu einer Erschlaffung der werktätigen Sittlichkeit führen müssen. Die religiös gemeinte Freiheit (Ev. Joh. Kap. 8) ist von den Bauern als Freiheit auf dem 1 ) Von seiten der ultramontanen Forschung vgl. z. B. Erläute rungen und Ergänzungen zu Janssens Geschichte des deutschen Volkes, herausgeg. von Pastor VI. Band. 4. Heft: Die Ehe um Ausgang des Mittelalters; von Falk.